Stecknadelkopfgroße Riesen

■ Bremer Biologin entdeckt Riesenbakterie. Die „Schwefelperle“ ist nicht nur groß und ökologisch wichtig, sondern auch schön.

In Wirklichkeit ist die Sensation so winzig wie der Punkt am Ende dieses Satzes. In Wahrheit, sagen weltweit die Wissenschaftler, ist sie riesig. „Das ist,“ sagte der Biogeochemiker Bo Jörgensen, Chef des Bremer Max-Planck-Instituts für marine Mikrobiologie, „als hätten die Meeresbiologen eine neue Walart entdeckt.“ Immerhin schmückt die Sensation kindskopfgroß die Titelseite der aktuellen Ausgabe der amerikanischen Science. Ihr Name: Thiomargarita. Sie ist die größte bekannte Bakterie der Welt, hundert mal größer als alles, was Bakterienforscher bislang kannten. Und schön ist sie! Ihre Entdeckerin ist die junge Bremer Biologin Heide Schulz, die mit einer Veröffentlichung in Science eine Woche vor ihrer Promotion einen vorläufigen Karrierehöhepunkt erreicht.

Womit sich Bakterienkundler gemeinhin die Zeit vertreiben, sind tausendstel Millimeter große, unansehnliche Häkchen und Stäbchen. Auf einem Forschungsschiff vor der Küste Namibias zog Heide Schulz jedoch aus hundert Metern Wassertiefe ein weißes, schmieriges Zeug an Bord, dessen Einzelelemente mit bloßem Auge erkennbar waren. Unter dem Mikroskop fand sie dicke, hohle Kugeln, die an der Außenhaut weiße Schwefelknubbel trugen. Sie waren zu wunderschönen Ketten verklebt. Schulz faxte an den Institutsleiter: „Ich habe eine komische Bakterie gefunden. Ich weiß nicht, was es sein könnte.“ Die Dinger wirkten wie andere schwefelfressende Bakterien, die das Institut im Zusammenhang mit globalen Stoffkreisläufen schon länger untersucht. Nur waren sie ein bis zwei Größenordnungen zu groß. Schnell indes war klar: Die bis knapp einen Millimeter großen Organismen waren die größten Bakterien der Welt. Wegen ihres hübschen Äußeren nannte Heide Schulz sie „namibische Schwefelperle“, für Fachleute Thiomargarita namibiensis.

„Eigentlich sind Bakterien gut beraten, klein zu sein,“ formulierte die Biologin gestern während einer Pressekonferenz. Denn sie müssen schnell viel fressen, sonst verhungern sie. Werden sie zu groß, essen sie zu langsam. Die Schwefelperle arbeitet mit einem Trick: Sie „atmet“ im Meereswasser Nitrat, von dem sie sich große Vorräte in ihrem dicken Bauch anlegt. Sinkt sie dann in das nitratarme, aber schwefelreiche Sediment des Meeresbodens, das aus vergammelnden Algen etc. besteht, bedient sie sich ihrer Vorräte, um die hochgiftigen Abbauprodukte (Sulfide) der Algen zu „fressen“, d.h. zu harmlosen Schwefelsalzen zu oxidieren. Die Riesenbakterien halten es monatelang im giftigen Sediment aus, bis die Meeresströmung sie wieder zum „Atmen“ in nitratreiche Bereiche transportiert. Was man an der namibischen Küste von diesen Vorgängen beobachten kann, sind ausgedehnte weiße Bakterienteppiche, die sich über das schwarze Gammelsediment legen. Und die das Meereswasser vor den für Fische und Plankton gefährlichen Schwefelwasserstoffen schützen.

Die Schwefelperle ist nicht nur riesig und schön, sondern auch offenbar eine spannende Schnittstelle zwischen zwei global wichtigen Stoffkreisläufen im Meereswasser: zwischen dem Nitrat- und dem Schwefelkreislauf, die man bisher für völlig getrennte Kreisläufe hielt. „Vielleicht,“ mutmaßt Heide Schulz, die wir heute schon mal vorwitzigerweise Frau Dr. Schulz nennen wollen, „ist diese Art der Sulfidoxidation wichtiger für die Natur, als wir es bisher angenommen haben.“ Sicher ist, daß solche schwefelfressenden Bakterien, die – viel kleiner und mit anderem Stoffwechsel – auch in Nord- und Ostsee existieren, sehr wichtige meeresökologische Funktionen haben. BuS