Warum ich mein Kind umbringen würde (1981)

In dem Erfolgshorror „Shining“ verbringt ein geisteskranker Schriftsteller den Winter mit Frau und Kind als Hausmeister im geschlossenen Luxushotel hoch am Berg. Das macht ihn noch ganz irre, und er steigt der Frau mit 'nem Beil nach. Und sie steht da und weint und schreit und kreischt, wie er sich langsam mit dem Beil durch die letzte Tür zu ihr holzt.

100mal habe ich solche Szenen in Filmen gesehen: Horror, Western, Krimis, aber am häufigsten in Liebesschnulzen. Meistens hauen sich zwei Männer – oft geht es um eine Frau –, stets hält die Frau sich raus, bleibt schön passiv. Hundertmal gesehen, hundertmal nicht kapiert, hundertmal innerlich rebelliert.

Ich habe ein wunderbares Kind. Es ist liebenswürdig, geduldig, klug und mutig, groß, gesund und kräftig. Wenn es jung umkäme, ich wäre verzweifelt – nicht so sehr um meinet- als um seinetwegen. Ich liebe dieses Kind, das ich allein aufgezogen habe, es ist das Beste, was ich in meinem Leben gemacht habe (und mein Leben ist ereignisreich gewesen: viele große Lieben, viel Kummer, viele Reisen, Umzüge, Publikationen. Sogar große Reportagen in einem früher immer so genannten „Deutschen Nachrichtenmagazin“. Viel politische Arbeit). Ich habe vor einem Jahr verkündet, daß ich dieses Kind umbringen würde, wenn er in einem Krieg mitmachte – selbst wenn er nur als Söldner irgendwo schösse und bombte. Und ich würde meinen Umgang mit ihm abbrechen, wenn er seinen Job bei einer Rüstungsfirma nähme. Heute früh habe ich ihm das mitgeteilt und daß ich beschreiben will, warum. Und er hat gesagt, wieso, das ist doch meine Sache. „Ob ich nun unter dir sterbe“ oder in einem Krieg umgebracht werde, ist doch egal. Ich dann: Ja, aber du sollst vorher nicht noch Menschen umbringen können.

Ich bin weiblich-friedlich. Ich habe – vielleicht deshalb – kaum Erfahrungen mit manifester Gewalt. Wenn ich sie erlebe, gegen wen auch immer, werde ich wild, das weiß ich. Wild gegen Gewalt. Wie ich immer ausraste, wenn in diesen Männerfilmen die Frauen stumm und händeringend dabeistehen, sobald sich Männer schlagen, schießen, treten. Warum gehen sie nicht dazwischen, werfen ihre Leiber nicht zwischen diese lächerlichen Kampfhähne, schreien den Horrorgestalten nicht wenigstens ihren lauten Protest, ihre Verachtung und ihre Angst vor Gewalt ins Gesicht? (Oder drehen sich einfach um und gehen weg...?! die säzzerin)

Die Frau des irren Schriftstellers in „Shining“ macht – erstmals – Ansätze, sich wenigstens ihrer Haut zu wehren, aber sie spricht nicht mit ihm, und ihre Wehrversuche sind so kläglich, unkoordiniert, daß nur männliche Kumpanei zu bleiben scheint und nur Verachtung bleibt für diese hysterische Heulsuse – nicht: Verachtung für Horror und Gewalt. So hätten männliche Filmregisseure uns gern – und nicht nur sie.

So sind wir aber nicht! Wir lassen uns Gewalt nicht mehr bieten, wir kämpfen gegen sie. Nicht mit Gegengewalt, wir Frauen schlagen nicht zurück, wie uns die Herrenkultur weismachen will. Wir bekämpfen Gewalt, indem wir sie anprangern, die klammheimliche Männerlust laut denunzieren. Das geschieht schon, zum Beispiel in den Frauenhäusern. Es muß aber nicht überall geschehen, auch bei den Frauen für Frieden z.B., in jeder Ehe, in „jeder Beziehung“ und überall.

Um dies zu zeigen, daß es mir ernst ist, daß ich für den Frieden kämpfe bis zur Selbstaufgabe, habe ich in maßloser Übertreibung – aber zu Ende gedacht! – gesagt: „Ich würde meinen Sohn umbringen, wenn er in einem Krieg mitmacht.“ Ich bin sicher, er wird es nicht tun, ich bin sicher, ihn zum Menschen erzogen zu haben, schon mit vierzehn, und seine Äußerungen zeigen es. Deshalb ist das Ganze irreal. Aber ich verantworte dieses Kind. Und ich bestehe auf Frieden, ich kann mich nicht aufs Bitten und Beten beschränken. Und ich will, daß viele, viele Frauen mir dabei folgen. Ob es den Frauen gelingen kann, die Erde in letzter Stunde vor der Zerstörung durch Umweltgifte und/oder Kernwaffen zu bewahren, kann ich nicht wissen. Aber – um mit Françoise d'Eaubonne zu sprechen: „Vom Manne wissen wir: ER hat versagt.“ Sophie von Behr