■ Das darf doch nicht wahr sein!
: Lob des Renegaten

An der Wiege der taz stand die Erfahrung des „Deutschen Herbstes“ 1977, der „Krieg“ zwischen Staat und RAF. „Gegenöffentlichkeit“ war das programmatische Zauberwort, und es war höchst wirksam. Pünktlich zum zwanzigsten Jubiläum findet ein Krieg zwischen der Nato und Jugoslawien statt, den man selbst nach über drei Wochen am liebsten für einen schnell vergehenden Alptraum halten möchte, und der schlimmste Vorwurf aus den gefürchteten Reihen der taz-Leserschaft an die Redaktion lautet: „Mainstream“ und „Meinungspluralismus“. Der über viele Jahre sich vollziehende Wandel kommt für viele immer noch überraschend: Die taz ist ein wichtiger Teil der demokratischen Öffentlichkeit, nicht mehr und nicht weniger.

Diese Stellung hat sie sich schmerzhaft erkämpft – bis an die Grenze zur Selbstzerstörung, manchmal jenseits der Grenze zur Lächerlichkeit.

Die Gegner dieses unendlich mühseligen, auch schmerzhaften Lernprozesses voller Brüche und Widersprüche haben meist nicht mehr zu bieten als dessen wütend jubilierende Negation: Das darf doch nicht wahr sein! Was aber statt dessen wahr sein sollte, das wissen sie selbst nicht. Und es ist ihnen gleichgültig. Argumente haben in ihrem Diskurs der Denunziation keinen Platz. Hier einsam führend Meister Droste. Er schreibt, was Ströbele („Ich schäme mich!“) denkt: „Fußmatte“, „hodenlos“, „Gamma- Männchen“, so analysiert Droste Rudolf Scharping, und Joschka Fischer vergleicht er umstandslos mit einem Kriegsverbrecher, der für seine Karriere „alles tut – auch Leute über die Klinge springen“ zu lassen, „im Koso- oder sonstvo“.

Projektive Wunschphantasien, paranoide Haßtiraden, eine verzweifelte Dialektik der Realitätsverdrängung. Ob Wiglaf Droste oder André Mielke – die „Deportation“ von Kosovaren qualifiziert er als „wiedergekäute Verbalpampe“ –, ob Walter van Rossum, der ideologiekritische Drachentöter von Enzensberger & Co., oder der unbeirrbar selbstzufriedene Camenbertdenker Mathias Greffrath – sie alle rufen stets Verrat, Verrat! und trauern den schönen alten Zeiten hinterher, als die Welt noch voller Utopien war und ganz radikal in Gut und Böse, Fortschritt und Reaktion, Revolution und Konterrevolution zerfiel, damals, als die Kritiker der Elche selbst noch im – freilich linken – Mainstream schwammen, der definierte, was Wahrheit war und was Lüge.

Nur Idioten ändern ihre Meinung, wir aber bleiben uns treu, so lautet der Refrain der Unbeugsamen, die Rudolf Scharping, in kritischer Nachfolge Theodor W. Adornos, einen „Nacktmulch“ nennen, besser: „eine Pitbull-Tunte“, der „sein Herrchen ein Hundedeckchen auf den Rücken geschnallt hat“.

Die zwanzigjährige Geschichte der taz aber zeigt: Nur Dumpfbacken hocken so lange auf ihren Irrtümern, bis sie wie das Skelett eines Nacktmulchs aussehen. Das Beste, was die taz verkörpert, ist ihre Quersumme aus Leidenschaft, Kritik, Zweifel, Ironie und, ja, auch Affirmation, die bestimmte Negation der Negation. So ist die taz nicht nur die größte Journalistenschule, sie ist auch die größte Renegatenschmiede der Republik. Ihr Motto: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Auch ein Zauberwort. Für viele freilich immer noch ein Geheimnis. Reinhard Mohr

taz-Mitarbeiter von 1985 bis 1995, jetzt „Spiegel“-Redakteur