Rugovas Hilferuf: Holt mich hier raus!

■ taz exklusiv: Der Präsident der Kosovo-Albaner sieht sich in serbischer Geiselhaft und verlangt eine internationale Kampagne für seine Ausreise aus Jugoslawien

Berlin (taz) – Die serbische Regierung präsentiert ihn als „Gesprächspartner“, für manche Albaner ist er längst ein „Verräter“: Gestern traf sich Ibrahim Rugova, politischer Führer der Kosovo-Albaner, erneut zu Gesprächen mit der serbischen Führung in Belgrad und forderte nach Angaben der Nachrichtenagentur Tanjug zusammen mit dem serbischen Präsidenten Milan Milutinović ein Ende der Nato-Angriffe. Doch in einem Telefongespräch mit seinem Stellvertreter Hafiz Gagica in Stuttgart, das Rugova Anfang der Woche führte, berichtete er, von den serbischen Machthabern in Geiselhaft gehalten und zu Interviews gezwungen zu werden.

Das Gespräch im Beisein eines taz-Mitarbeiters war nach wenigen Minuten unterbrochen. Trotzdem gelang es dem Politiker, seinem Stellvertreter einen Hilferuf zu übermitteln: Darin appelliert Rugova an alle Parteien und PEN-Clubs, sich für seine Freilassung und Ausreise aus dem ehemaligen Jugoslawien einzusetzen. Nur dann könne er sich „wieder an wichtigen politischen Verhandlungen zur Kosovo- Krise beteiligen“, heißt es im Appell, den Hafiz Gagica gestern veröffentlichte.

Daß Rugova von Serbiens Regierung massiv unter Druck gesetzt wird, hatten politische Beobachter schon vermutet. Am 1. April war er zur Überraschung der Regierungen der Nato-Mitgliedsstaaten mit dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević zusammengetroffen, hatte ihm vor laufenden Kameras die Hand geschüttelt und dessen Forderung nach einer politischen Lösung des Konflikts und einem Ende der Nato-Bombenangriffe unterstützt. Vertreter der kosovo- albanischen Untergrundarmee UÇK werteten dies als „Hochverrat gegen seine Nation“, sofern dieser Auftritt freiwillig erfolgt sei.

Nach Angaben von Gagica fordert Rugova die Fortsetzung der Nato-Luftangriffe und notfalls auch den Einsatz von Bodentruppen. Sollte ihm die Ausreise aus Serbien gelingen, will der Politiker sich dafür einsetzen, daß die Flüchtlinge aus dem Kosovo in der Nähe der Grenze untergebracht und versorgt werden. Damit will Rugova offensichtlich den politischen Druck auf die Nachbarländer und die Nato-Mitglieder aufrechterhalten, um eine möglichst schnelle Rückkehr der Vertriebenen zu ermöglichen. Nach Nato-Angaben wurden in der Nacht zum Freitag verstärkt Raffinerieanlagen angegriffen. Jugoslawiens Kapazitäten zur Treibstoffproduktion seien völlig vernichtet. Das hindert serbische Truppen bislang nicht, mit der „ethnischen Säuberung“ fortzufahren: Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks wurden allein zwischen Donnerstag und Freitag über 12.000 Menschen über die Grenzen nach Makedonien, Albanien und Montenegro vertrieben. anb/fex Dokumentation Seite 3