Wie in London: Volkes Stimme unter freiem Himmel

■ Die „Berliner Speakers‘ Corner“ soll zum „Treffpunkt für Redefreiheit“ werden

Berlin hat einen neuen Ort der öffentlichen Rede – noch einen. Aber hier schützt keine gläserne Kuppel vor Regen, und keiner der Redner trägt einen Schlips. Diesen Ort erkennt man nur an einer umgedrehten Kiste, die als Podest dient. An diesem Wochenende wurde auf dem Marx-Engels-Forum die „Berliner Speakers‘ Corner“ eingeweiht. Nach dem berühmten Londoner Vorbild soll sie zu einem dauerhaften Rede- und Diskussionsforum werden, auf dem jeder öffentlich sagen kann, was er zu sagen hat. Oder einfach nur zuhören kann.

Als erste Redner stiegen am Samstag die Initiatoren selbst auf die Kiste. „Liebe Verfechter der Meinungsfreiheit, liebe Freunde der freien Rede“, richtete sich der Grünen-Abgeordnete Dietmar Volk an das Publikum, das fast ausschließlich aus Journalisten bestand: „Übertreffen wir an dieser Stelle die bezahlten Rhetoriker dieser Stadt!“ Gemeinsam mit dem Theologen Jochen Goertz und dem Brandenburger SPD-Mitglied Burkhard Voigt habe man schon lange die Idee einer „Berliner Speakers‘ Corner“ gehabt. Der erhöhte Diskussionsbedarf durch den Kosovo-Krieg und die Einweihung des Reichstages haben nun den Ausschlag gegeben, diesen Plan zu realisieren.

Zur „Berliner Speakers‘ Corner“ finden sich die Redner und ihr Publikum von nun an jeden Samstag um 11 Uhr auf dem Marx-Engels-Forum ein. „Noch lieber hätten wir den Pariser Platz gewählt“, so Dietmar Volk, „doch das war wegen der Bannmeile, die es zu besonderen Anlässen um den Reichstag geben wird, nicht möglich.“ Außerdem hätten auf dem Marx-Engels-Forum „zu Zeiten der DDR große Aufmärsche stattgefunden“. Ein inhaltlicher Bezug zum Namen des Platzes bestehe jedoch nicht, „obwohl Marx die letzten 20 Jahre seines Lebens in London verbrachte“.

Die wenigen Berliner, die dem Regen trotzten, zeigten sich erfreut über die neue Einrichtung – auch wenn die meisten nicht selbst das Wort ergreifen wollten. Allein Ilse Weidmüller, eine rüstige ältere Dame, nahm allen Mut zusammen und kletterte auf die Kiste. In einem engagierten Redebeitrag plädierte sie für die Rechte Behinderter: „Das ist ein totgeschwiegenes Thema –hier kann ich das mal loswerden.“

„Dieser Ort lebt von dem Engagement aller“, sagte der Abgeordnete Volk. „Mut und eine laute Stimme gehören dazu, an einem solchen Ort eine Rede zu halten, aber auch ein Publikum“. Für den kommenden Samstag hoffen die Initiatoren auf eine Stimmung wie in London – allerdings ohne das dortige Wetter. Tobias Hinsch