■ Berliner Republik
: Horizonterweiterung

Beschworen, angemahnt und verpönt: Wir haben Berliner gefragt, wie sie es mit der Berliner Republik halten.

Prof. Dr. Heinrich August Winkler, 60 Jahre, Historiker: Der Begriff „Berliner Republik“ versucht die Unterschiede deutlich zu machen, die zwischen der Zeit vor und nach der Wiedervereinigung bestehen. Wir sind ein Land mit einer gespaltenen politischen Kultur. Das wird man von Berlin aus deutlicher sehen als von Bonn aus. Wir sind auch ein Land mit einer gespaltenen Geschichtskultur. Das konnte man von Bonn aus unterschätzen. Außerdem ändert sich unser Blick auf Europa. Von Bonn aus war Europa lange Zeit Westeuropa. Von Berlin aus wird man vielleicht etwas realistischer sehen, daß unsere ostmitteleuropäischen Nachbarn ebenso Teil Europas sind. So wird die „Berliner Republik“ im Sinne einer Horizonterweiterung Auswirkungen auf die Politik haben. Der Regierungsumzug bietet die Chance einer realistischen Standortbestimmung. Von Bonn aus konnte man ja oft glauben, die Geschichte der deutschen Demokratie beginne erst mit der Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949. In Berlin werden wir heute schärfer fragen müssen, welche Traditionsstränge den Sozialstaat und die parlamentarische Demokratie mit dem 19. Jahrhundert verbinden. küp