Ein bißchen crazy

■ Zwei, die zusammenpassen wollen: Das ältliche ZDF holt sich Jugendkompetenz neuerdings bei den Musikverkäufern von Viva

Sie haben es getan. Am Samstag, den 17. April 1999, um 12 Uhr 3 Minuten und 37 Sekunden haben die Programmsynergien nur so gefunkt und geknistert. Der Musiksender Viva im guten alten ZDF. Ein Coitus commercialis. Inmitten einer Studiokulisse, die nach schlimmster 80er-Jahre-Disco aussah, grinste die lolarothaarige Viva-Moderatorin Enie van de Meiklokjes mit dem öffentlich-rechtlichen Mike Diehl um die Wette (3 Sek.) und interviewte (5 Sek.) die „Chart-Attack“-„Interaktiv“- Videoclip-Gewinnerband „No Sex until Marriage“. War das die Vereinigung der Systeme?

„Zielgruppen erreichen, die dem ZDF fehlen“

Im Februar hatte das ZDF sein Vorhaben dezent in einer knappen Erklärung bestätigt: Die ältere Dame ZDF (führt quotenmäßig immer nur bei den Zuschauern über 50 Jahre) beginnt eine Liason mit dem jung-dynamischen Musiksender Viva.

Damals ging es angeblich hauptsächlich um die Übertragung der Verleihung des Viva-Musikpreises „Comet“ im ZDF. Und dann wurde die Zusammenarbeit der Sendungen „Chart Attack“ (ZDF) und „Interaktiv“ (Viva) beschlossen – um „Programmsynergien auszuprobieren“ und „neue Aktions- und Kooperationsfelder auszubauen.“ ZDF-Unterhaltungschef Viktor Worms fügte dem PR-Geschwurbel noch an, Viva sei „ein idealer Partner, um Zielgruppen anzusprechen, die dem ZDF fehlen“.

Insgesamt dauerte der medienpolitisch delikate Höhepunkt am Samstag kaum drei Minuten – aber „Chart Attack“, das einzige Relikt von Jugendlichkeit im ZDF- Programm, poppt auch nur eine halbe Stunde. Zeit genung, um den „Kids“ zu „verklickern“, daß sie Viva gucken sollen. Dort stellt der Sender seinen Junkies beim freitäglichen „Interaktiv“ auch frei, am Samstag 30 Minuten fremdzugehen und beim ZDF „Chart Attack“ anzuschalten. Profis nennen so was „Crosspromotion“.

Für das ZDF ist der Sinn dieser Strategie trotz des leichten Ungleichgewichts klar: Intendant Dieter Stolte sehnt sich nach einem besseren Image bei den Jugendlichen. Jahrelang hatte es sein Sender versemmelt, sich ernsthaft um die zukünftigen Gebührenzahler zu kümmern. Statt dessen ist das ZDF-Programm gemeinsam mit der Jugend von einst und ihrem liebsten Moderator Dieter Thomas Heck gealtert.

Und Viva kann seine Marke endlich auch mal bei potentiellen Werbekunden außerhalb der engen Musik- und Jugendkulturbranche bekannt machen. Wenn Vivas „Comet“ beim ZDF läuft, so das Kalkül, kriegen es vielleicht auch einmal die älteren Herrschaften mit, die bei Marken wie Persil und Audi für den Werbeverkauf zuständig sind: daß Viva in Deutschland für Jugend die alleinige Zuständigkeit beansprucht. Zumal „Jugend“ inzwischen bis zu Gerhard Schröder reicht, wie Viva- Chef Gorny unlängst in einem Spiegel-Interview bemerkte. Ein weitererer Vorteil: Popstars wie Madonna werden künftig nicht mehr irrtümlich beim ZDF-Pensionärshit „Wetten daß...!?“ landen, weil Gorny ihnen bislang keine handfesten Quoten vorweisen konnte – bei den Quotenmessern von der GfK steht sein Sender nämlich abseits. Aber Partner ZDF ist eine Nummer.

Nun kriegt sich Gorny gar nicht mehr ein aufgrund der Möglichkeiten, die ihm der Deal mit dem ZDF eröffnet. Eine kleine „Sensation“, schwärmt er. Das gehe „wie ein Erdbeben durch die Republik“. Endlich werde sein kleiner Sender zur „Mighty Mouse“. Und da scheint für den 45jährigen noch mehr drin zu sein: „Das hat's bisher noch nicht gegeben, daß ein Privatsender sagt: ,Ey, und jetzt schalt um aufs ZDF.‘“ Gorny: „Das ist schon ein bißchen crazy.“

„Keine Systemfrage – nur eine ökonomische

Ein bißchen crazy ist es auch, wie sich ein gebührenfinanzierter Sender bemüht, sich von einer kommerziellen „Mini Mouse“ wie Gorny das Thema Jugend vordeklinieren zu lassen. ZDF-Programmdirektor Markus Schächter wehrt ab: Es sei doch nur „eine punktuelle Kooperation“. „Keine Systemfrage“, faßt er zusammen, nur eine „medienökonomische“.

Ist es wirklich keine Systemfrage, wenn ein von allen bezahlter Sender lieber Geld für Sport und Volksmusik ausgibt und sich dafür seine Jugendkompetenz aus „medienökonomischen“ Gründen beim unbedarftesten Vertreter des anderen Systems erdealt? Geschickterweise meldet Sozialdemokrat Gorny selber Bedenken an, wenn es sonst schon keiner tut: „Die Öffentlich-Rechtlichen kommerzialisieren sich immer mehr“, klagt er: „Da müßte ich als Zuschauer mit Abitur eigentlich sagen: ,Um Gottes willen!‘“ Und Gorny schließt: „Wenn das so weitergeht, haben wir bald keine Medienkultur mehr, sondern nur noch eine gleichförmige Medienlandschaft.“

Gerade rechtzeitig noch hat Gorny „hochgradig intelligente, spannende und energiegelandene, fast schon esprithaltige Gespräche“ mit Markus Schächter geführt. Aus denen der erdbebenartige Pakt zwischen dem kulturbesorgten Kommerzmann und dem sorglosen öffentlich-rechtlichen Kulturverwalter entstand.

„Da wäre es natürlich naheliegend...“

Und wenn man solche Gespräche weiterspinnt, kann man noch auf viel mehr kommen als auf eine 30-Sekunden-Moderation im Vormittagsprogramm. Das ZDF zum Beispiel hat immer darunter gelitten, daß es anders als die ARD kein Radioprogramm hat; so was wünscht sich – wie der Zufall spielt – auch Viva. Wer da fragt, ob die beiden nicht zusammen... könnten, wie es auch hartnäckige Gerüchte wissen wollen, der erfährt nichts Genaues. Schächter sagt nur, das Thema Radio stehe „jetzt nicht auf der Agenda“. Gorny ist zwar „grundsätzlich an Radio interessiert“, weiß aber auch, daß er manchmal „lieber die Klappe halten sollte“.

Eine andere Idee, von der ständig geredet wird, ist ein jugendorientiertes Digitalprogramm. ZDF-Intendant Stolte will sein Programm nämlich nicht nur um den geplanten Theaterkanal erweitern, wie auch Dieter Gorny schon erfahren hat: „Herr Stolte plant ja in irgendeiner Weise Digitalbouquets, und da wäre es naheliegend, daß man mit denen redet, mit denen man sowieso zusammenarbeitet, ehe man mit jemand anderes redet.“

Wenn man Markus Schächter danach fragt, antwortet er ganz diplomatisch: „Weitergehende Kooperationsformen müssen in einer sich ständig verändernden Medienwelt geprüft werden.“ Der ZDF-Mann ist jedenfalls schon mal optimistisch: „Jetzt wollen wir erst mal ganz konkret schauen, uns beriechen, und ich hab' den Eindruck, wir passen ganz gut zusammen.“ Manchmal kann eben auch Quotenliebe blind machen. Ania Mauruschat