Wahl zwischen Kids und Karriere

■ Die Geburtenrate in vielen EU-Ländern sinkt selbst da, wo es gute Kinderbetreuung gibt

Düsseldorf (taz) – Um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, verschieben Europas Frauen das Kinderkriegen. Doch eine Garantie für gleiche Jobchancen ist das keineswegs. Am Rande der Frauenmesse top 99 in Düsseldorf diskutierten ExpertInnen vergangene Woche, welche Bedingungen nötig sind, damit Frauen gleichberechtigt am beruflichen und öffentlichen Leben teilhaben können. Schließlich steht die Chancengleichheit offiziell ganz oben auf der Liste der Gemeinschaftsziele, seit im November 1993 der Maastrichter Vertrag und das dazugehörige Sozialprotokoll in Kraft getreten sind.

Zum Beispiel Griechendland: Seit 1984 gehört das dortige Familienrecht zu den fortschrittlichsten in der EU. Aber staatliche Betreuungseinrichtungen gibt es so gut wie nicht. Nur 3 Prozent der Kinder unter drei Jahren besuchen eine Kindertagesstätte. Der Anteil der Älteren, die nach der Halbtagsschule staatlich betreut werden, ist statistisch nicht meßbar. Und der Großfamilienverband als Betreuungsnetzwerk fällt auseinander.

Als Folge ist die Geburtenrate in Griechenland drastisch zurückgegangen. Genutzt hat der Verzicht auf Kinder den meisten Frauen allerdings nichts: In der Arbeitslosenstatistik liegen die Griechinnen europaweit mit 15,3 Prozent hinter Spanien (28,5 Prozent) und Italien (16,6 Prozent) an dritter Stelle. Dagegen sind nur 6 Prozent der Griechen auf Jobsuche.

Im Vergleich zum Agrarbudget sind es Pfennigbeträge, die für Frauenförderung in der EU ausgegeben werden. Gelegentlich entfalten aber auch kleine Pilotprojekte große Wirkung, wie die griechische Journalistin Christina Damoulianou berichtete, die seit 1994 beim Europäischen Netzwerk „Familie und Arbeit“ mitarbeitet. Die Einrichtung von 450 Kinderbetreuungszentren und 1000 Ganztagsschulen mit EU-Hilfe habe in ihrem Land eine ganz neue und vielversprechende Entwicklung angestoßen.

Doch auch beispielsweise in Finnland ist die Geburtenrate rückläufig, obwohl das Land in vielen Bereichen das Gegenmodell zu Griechenland darstellt. Allerdings unterscheidet sich die Arbeitslosenquote von Frauen (14,9 Prozent) und Männern (13,2 Prozent) hier kaum:Traditionell fühlt sich der Staat für die Kinderbetreuung zuständig. Jeder Betrieb mit mehr als 30 Mitarbeitern muß einen Gleich- stellungsplan vorlegen. Er beinhaltet allerdings nur die Karrierechancen von Frauen, nicht die Frage, wie Beruf und Familie vereinbart werden können.

Nach Ansicht der finnischen Soziologin Minna Salmi verschieben viele jungeFrauen ihren Kinderwunsch, weil sie Karriere und Familienalltag zunehmend für unvereinbar halten. Einen Ausweg sieht Salmi, wie fast alle Teilnehmer der Düsseldorfer Tagung, in einer neuen Unternehmenskultur. Veränderte Karrierekonzepte, intelligente Arbeitszeitmodelle müßten es in Zukunft Männern und Frauen ermöglichen, die Familienphase in ihre Karriere zu integrieren. In Form von mehr Arbeitszufriedenheit und Betriebstreue komme das den Unternehmen wieder zugute.

Mit der Rolle der Väter in ihrem Land hat sich die niederländische Soziologin Anneke van Doorne-Huiskes befaßt. Ihre Zeitbudget-Untersuchungen spiegeln einen Familienalltag, der typisch auch für andere EU-Länder ist: In Familien mit Kleinkindern, in denen beide Elternteile berufstätig sind, leisten die Frauen zusätzlich 34,5 Stunden Haus- und Betreuungsarbeit pro Woche. Männer kommen mit der Hälfte davon. Angesichts solcher Zahlen verwundert der europaweite Gebärstreik nicht. Um ihn zu beenden, bedarf es mehr als ein paar Kitas für den Süden. Daniela Weingärtner