Massengräber im Kosovo vermutet

■  Die Nato berichtet von Luftaufnahmen, die auch offene Gräber zeigen sollen. In Albanien und Makedonien treffen wieder Tausende von Vertriebenen aus der serbischen Provinz ein

Tirana/Brüssel (rtr/dpa) – Die Nato verfügt nach eigenen Angaben über Luftaufnahmen von 43 mutmaßlichen Massengräbern im Kosovo. Wie Militärsprecher General Guiseppe Marani gestern in Brüssel berichtete, auch Bilder von offenen Gräbern. In einem Hinterhalt bei der Stadt Pec seien 45 Menschen getötet worden. Bei der Ortschaft Izbica seien auf einer Luftaufnahme neue Massengräber zu sehen.

Nato-Sprecher James Shea erklärte, die Allianz erhalte immer mehr Berichte über Erschießungen von Kosovo-Albanern. „Wir haben es mit einer neuen Welle einer ethnischen Säuberung zu tun“, sagte Shea gestern in Brüssel. Die jugoslawische Regierung wies diese Vorwürfe zurück.

Die Massenflucht aus dem Kosovo geht unterdessen unvermindert weiter. Am Samstag und Sonntag morgen kamen nach UNO-Angaben in Albanien 20.000 und in Makedonien mindestens 4.000 Menschen an. Dabei kam es gestern zu einem tödlichen Zwischenfall: Kurz vor der rettenden albanischen Grenze fuhr ein Auto mit fliehenden Kosovo-Albanern auf eine Mine. Die Explosion habe fünf Menschen getötet, teilte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit.

Nach OSZE-Angaben gehörte das Auto zu einem Konvoi mit 1.500 Menschen, die gestern morgen den Grenzübergang Morina erreichten. Offenbar seien die drei Insassen sofort tot gewesen. Zwei weitere Personen seien wohl zu Fuß unterwegs gewesen und durch die Explosion der Mine schwer verletzt worden. Einer der beiden starb den Informationen zufolge noch an der Grenze, der andere auf dem Weg in eine Klinik. Nach Berichten ankommender Flüchtlinge wurde das ausgebrannte Fahrzeug mit den verkohlten Leichen von den jugoslawischen Grenzpolizisten nicht weggeräumt. Möglicherweise solle es zur Abschrekkung für die vorbeiziehenden Flüchtlinge stehen bleiben. In den vergangenen Wochen haben jugoslawische Truppen entlang der Grenze Minen verlegt und Maschinengewehrstellungen gebaut. Offenbar wollen sie sich so für einen eventuellen Angriff von Bodentruppen der Nato wappnen.

An der albanischen Grenze wurden Tausende weitere Flüchtlinge aus dem Kosovo erwartet. Die Ankommenden berichteten von vielleicht 50.000 Menschen, die noch unterwegs seien. Die Hilfsorganisationen sehen sich durch den neuen Ansturm förmlich überrollt. Sie konnten gar nicht so schnell Zelte aufbauen, wie die Menschen ankamen. Viele mußten unter Planen kampieren.

Die Hilfsorganisationen erwogen die Verlegung von Flüchtlingen aus den übervölkerten Lagern an der Grenze mit Militärhubschraubern ins albanische Hinterland. Viele Kosovo-Albaner seien dazu aber nicht bereit, erklärte ein Helfer. Sie wollten nicht noch weiter von ihrer Heimat weg.

Albanien braucht nach eigenen Angaben in den nächsten drei Monaten umgerechnet etwa 1,5 Milliarden Mark an Sach- und Finanzhilfe, um die Versorgung der Kosovo-Flüchtlinge sicherzustellen. Die Delegation Albaniens erklärte auf der Jahrestagung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung am Samstag in London, etwa 283 Millionen Mark seien an Sachleistungen nötig, der Rest als Finanzhilfe.

Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR erklärte gestern in Genf, wegen der Aufnahmebereitschaft Albaniens würden nur Kosovo-Flüchtlinge aus Makedonien ausgeflogen. Die dortige Regierung verweigert den Bau neuer Aufnahmelager und erlaubt nur den Ausbau der vorhandenen Lager. Deren Höchstgrenze liegt nach UNHCR-Angaben bei 85.000 Menschen. In Albanien hielten sich gestern morgen 360.000 Flüchtlinge auf, in Makedonien über 130.000.