Montenegro muß den Flüchtlingen allein helfen

■ In Montenegro sind die Anhänger von Präsident Djukanovic verärgert, daß die Nato die abtrünnige jugoslawische Teilrepublik mit Serbien gleichsetzt und bombardiert

73.500 Menschen sind nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats seit Beginn der Nato-Lufangriffe am 24. März aus dem Kosovo nach Montenegro geflohen. In der kleinen Adriarepublik mit 615.000 Einwohnern stellen die Flüchtlinge mittlerweile fast 12 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das ist prozentual mehr als in Makedonien und sogar Albanien. Als neben Serbien zweite jugoslawische Teilrepublik bekommt Montenegro jedoch keine internationale Hilfe und ist nach wie vor heftigen Luftangriffen der Nato ausgesetzt.

Im Gegensatz zu Makedonien haben sich die Flüchtlinge in Montenegro bisher nicht über ihre Behandlung beklagt. Nur etwa 13.000 wollten weiter nach Albanien ziehen. Dabei hat Montenegro Schwierigkeiten, seine eigene Bevölkerung zu versorgen, nachdem die Nato die wichtigsten Verkehrswege nach Serbien zerbombt hat. In einigen Gemeinden werden schon Bezugsscheine für Grundnahrungsmittel wie Mehl, Zucker und Speiseöl aus den dürftigen staatlichen Reserven verteilt. Daraus werden auch die kosovo-albanischen Flüchtlinge versorgt. Der Kommissar der montenegrinischen Regierung für Flüchtlingswesen, Djordjija Scepanovic, erklärte, notwendig seien unter anderem Matratzen, Decken und Bettwäsche. Und natürlich Geld. Über die Adria könnte aus Italien die Flüchtlingshilfe problemlos direkt nach Montenegro gelangen. Doch alle Bemühungen Montenegros, den kosovo-albanischen Flüchtlingen zu helfen, werden von der Weltöffentlichkeit nicht zur Kenntnis genommen.

Die meisten Flüchtlinge befinden sich in den an das Kosovo grenzenden Gebieten um die Städte Ulcinj und Roaj und sind in leeren Hotels und Urlaubercamps untergebracht. Trotzdem müssen Tausende unter freiem Himmel schlafen. Die albanische Minderheit in Montenegro stellte vor dem Krieg sieben Prozent der Bevölkerung und war relativ wohlhabend. Noch immer können die Albaner aus Montenegro ihre Landsleute aus dem Kosovo aus eigener Tasche mit dem Nötigsten versorgen. Doch die wichtigste Einnahmequelle der Albaner Montenegros war der Tourismus. Der Krieg bedroht jetzt auch ihre Existenz.

Während in Serbien Kosovo-Albaner jahrelang unterdrückt waren und alle staatlichen Institutionen boykottierten, sind in Montenegro albanische und muslimische Parteien in der Koalitionsregierung vertreten und unterstützen den reformfreudigen prowestlich orientierten Präsidenten Milo Djukanovic, der die Wahlen in Montenegro aber nur knapp gewinnen konnte. Fast die Hälfte der Montenegriner folgt den Anweisungen aus Belgrad und lauert auf die Chance, ihn zu entmachten. Montenegro droht ein Bürgerkrieg.

Um so größer ist die Empörung der Anhänger Djukanovic', daß die Nato Montenegro mit Serbien gleichsetzt, systematisch bombardiert und die internationale Gemeinschaft der jugoslawischen Teilrepublik humanitäre Hilfe verweigert. Dabei erkennt Montenegro die jugoslawische Bundesregierung nicht an und wollte Djukanovic im Falle einer Auseinandersetzung mit der Nato die Neutralität Montenegros ausrufen. Dafür ist es allerdings inzwischen zu spät. Die ersten Nato-Raketen haben das kleine Land in den Krieg hineingezogen.

So rief der montenegrinische Vizepremier Novac Kilibarda alle Montenegriner auf, den Wehrdienst in der jugoslawischen Armee zu verweigern und einer Mobilmachung nicht zu folgen. Mehrmals erklärte er, Montenegro dürfte es nicht zulassen, in einen selbstmörderischen Krieg mit der Nato involviert zu werden. Er erwähnte die Möglichkeit, Kasernen der Armee Strom und Wasser abzustellen, sollte es zu einem Konflikt Montenegros mit der jugoslawischen Armee kommen.

Inzwischen wurde Kilibarda in Belgrad angeklagt, die Verteidigungskraft des Landes zu schwächen, und als einer der Anführer der Fünften Kolonne gebrandmarkt. Trotz seiner Immunität soll ihm unter dem Kriegsrecht ein Verfahren vor einem Militärgericht gemacht werden. In seinem Haus in der montenegrinischen Hauptstadt Porgovica wird Kilibarda von der Djukanovic-treuen montenegrinischen Polizei vor der jugoslawischen Militärpolizei beschützt. Andrej Ivanji, Belgrad