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Nato-Strategie auf dem Prüfstand

Der Kosovo-Krieg ist für die Nato ein Desaster. Doch bevorstehende Kontroversen bieten die Chance einer Neubestimmung europäischer Sicherheitspolitik  ■ Von Andreas Zumach

Seit fast vier Wochen führt die Nato einen (formal nicht erklärten) Luftkrieg gegen das aus Serbien und Montenegro bestehende Restjugoslawien. Möglicherweise folgt bald der Einsatz von Nato-Bodentruppen. Nach dem Nato-Bombardement bosnisch-serbischer Streitkräfte in Bosnien-Herzegowina im Herbst 1995 ist dies der erste heiße Krieg der transatlantischen Militärallianz gegen einen souveränen Staat. War dieser Krieg geplant, oder ist er das Ergebnis von Versäumnissen und Fehleinschätzungen? Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die künftige Strategie und die neue Rolle als globaler Weltpolizist, die die Nato anläßlich ihres 50. Geburtstages auf einem Gipfeltreffen ihrer 19 Staats- und Regierungschefs am kommenden Wochenende in Washington verkünden will?

Voraussehbar war die Entwicklung hin zum Krieg spätestens seit Sommer vergangenen Jahres. Anstatt den Versuch zu unternehmen, sich mit Rußland auf eine gemeinsame Bearbeitung des Kosovo-Konflikts zu verständigen, drohte die Nato Miloovic mit Luftangriffen. Diese Drohungen mußten die Regierung in Moskau schon allein aus naheliegenden innenpolitischen Gründen mehr und mehr an die Seite Belgrads bringen. Die Zusagen Miloevic' an US-Unterhändler Richard Holbrooke vom Oktober 1998 (Waffenstillstand, Reduzierung der serbischen Armee- und Polizeikräfte im Kosovo etc.) wertete die Nato als Beweis für die Wirksamkeit ihrer Drohpolitik.

Die zumindest gegenüber der Weltöffentlichkeit vertretene Erwartung der Nato, sie könne Miloevic mit derselben Drohung zur Unterzeichnung des Autonomieplans der Balkankontaktgruppe bringen, erwies sich – ebenfalls absehbar – als schwere Fehlkalkulation. Andererseits erwecken einige Artikel aus dem militärischen Implementierungsteil des Autonomieplanes, die nicht lediglich eine Überwachungstruppe für das Kosovo, sondern ein Nato-Besatzungsstatut für Restjugoslawien vorsehen, den Eindruck, die Autoren des Plans hätten es von Anfang an auf die Ablehnung des Planes durch Belgrad angelegt.

Nato ist Gefangene ihrer eigenen Eskalationslogik

Die nächste Fehleinschätzung war die Meinung der Allianz, nach ein, zwei Bombennächten werde Miloevic schon nachgeben. Das Ergebnis ist bekannt: Die Nato wurde seither immer mehr zum Gefangenen ihrer eigenen militärischen Eskalationslogik. Parallel verschärfte Miloevic die Vertreibungsoffensive gegen die Kosovo-Albaner.

Hätte die Drohpolitik der Nato funktioniert, hätte sie ihre Kosovo-Politik auf dem Washingtoner Gipfel als gelungenes Beispiel für ihre neue Ordnungsrolle in Europa und darüber hinaus als globaler Weltpolizist feiern können. Angestrebt wird diese Rolle in erster Linie von den USA – bei inzwischen nur noch verhaltenem Widerspruch einzelner kleinerer Nato-Staaten. Seit Ende des Ost-West-Konflikts drängt Washington immer entschiedener darauf, die Nato zum weltweit einsatzfähigen Interventionsinstrument zu machen zwecks Durchsetzung der wirtschaftlichen, politischen und geostrategischen Interessen ihrer Mitgliedsstaaten.

Als künftiges Konfliktgebiet, wo derartige Interessen durchzusetzen wären, gelten der Kaukasus und die Region des Kaspischen Meeres mit ihren riesigen Gas- und Ölvorkommen. Die systematische finanzielle Schwächung der OSZE und der UNO und die politische Diskreditierung der Weltorganisation durch ihre wichtigsten westlichen Mitgliedsstaaten wegen ihres – angeblichen – Versagens in Somalia, Bosnien und anderen Konflikten seit Ende des Ost-West-Konflikts haben die neue Bestimmung der Nato für eine breite Öffentlichkeit in den letzten Jahren immer akzeptabler erscheinen lassen. Das gilt selbst für ehemalige scharfe Kritiker des westlichen Militärbündnisses, Friedensbewegte oder sozialistische und grüne PolitikerInnen.

Wesentliches Vehikel für diese Entwicklung war die seit Anfang der 90er Jahre völlig selektiv und eurozentrisch geführte Diskussion über die Notwendigkeit „humanitärer Interventionen“ mit militärischen Mitteln – etwa zur Verhinderung oder Beendigung von Völkermord oder anderen schweren Menschenrechtsverbrechen. Die Frage, ob derartige „humanitäre Interventionen“ nicht zumindest immer einer Mandatierung durch den UN-Sicherheitsrat bedürfen, wird in weiten Teilen der westlichen Öffentlichkeit nicht mehr mit Ja beantwortet. Das zeigt die Debatte um den Kosovo-Konflikt.

„Die Nato hat das Völkerrecht über die UNO-Charta hinausentwickelt.“ Dieser Satz aus einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von Anfang März beschreibt den sich herausbildenden neuen Konsens. Die neue globale Rolle der Nato wird in einem strategischen Grundsatzdokument festgeschrieben, das beim Washingtoner Gipfel verabschiedet werden soll. Statt wie bisher lediglich das „Territorium“ will die Allianz künftig „die Interessen ihrer Mitgliedsstaaten verteidigen“, heißt es in dem Entwurf. Geschehen soll dies nicht „auf der Basis der UNO-Charta“, wie einige Nato-Staaten ursprünglich gefordert hatten, sondern lediglich „entsprechend der Prinzipien der UNO-Charta“.

Kontroversen in der Allianz sind programmiert

Mit dieser von Washington durchgesetzten Formulierung entledigt sich die Nato de facto jeglicher völkerrechtlichen Beschränkung ihres künftigen Handelns. Das Grundsatzdokument dürfte in Washington zwar wie geplant verabschiedet werden. Doch über seine künftige operative Umsetzung wird es infolge des Kosovo-Krieges zu erheblichen Kontroversen zwischen wie innerhalb der Nato-Staaten kommen.

Bereits jetzt bezeichnen Regierungsvertreter in Bonn und anderen Hauptstädten diesen Krieg zumindest hinter vorgehaltener Hand als größtes Desaster in der 50jährigen Geschichte der Allianz. Zu erwarten sind heftige Diskussionen in der politisch-militärischen Klasse in Washington über das künftige Engagement der USA in Europa sowie eine verschärfte Auseinandersetzung über die transatlantische Lastenverteilung zwischen Europa und den USA.

Diese Debatten werden die Konsens- und Handlungsfähigkeit der Nato zumindest auf längere Zeit hin erheblich belasten: zum einen hinsichtlich der Aufnahme weiterer osteuropäischer Staaten wie Rumänien oder Slowenien, denen beim letzten Gipfel 1997 in Madrid große Hoffnungen gemacht wurden. Zum zweiten mit Blick auf das zweite Ziel, das die USA urspünglich schon beim Washingtoner Gipfel durchsetzen wollten: eine Verpflichtung der Nato auf die Politik der „militärischen Counterproliferation“ – das heißt einer Droh-und Abschreckungspolitik auch mit atomaren Waffen gegen solche „Schurkenstaaten“ wie Irak, Nord-Korea, Iran, die sich ihrerseits – tatsächlich oder vermeintlich – atomare, chemische oder biologische Waffen sowie ballistische Raketen anschaffen.

Angesichts dieser negativen Konsequenzen für die Nato öffnet dieser verheerende Krieg – so zynisch das angesichts seiner direkten und indirekten Opfer klingen mag – möglicherweise in der öffentlichen Debatte der europäischen Staaten wieder Spielräume für eine Neubestimmung europäischer Friedens- und Sicherheitspolitik. Spielräume, die in den letzten Jahren durch die Nato-Ostweiterung, die Ausgrenzung Rußlands sowie die systematische Schwächung der OSZE immer mehr eingeengt wurden.

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