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Der Straße verfallen

■ Eric Andersen gehörte zum Folkzirkel um Bob Dylan. Nach Jahren im Exil kehrt er nun mit homogenen Erinnerungen zurück

Schreiben als Erinnerungsarbeit: Eric Andersen hat das selten mit bloßer Nostalgie um der ach so guten alten Zeiten willen verwechselt. Der 56jährige Autor und Musiker gehörte Anfang der 60er zum Greenwich-Village-Folk-Zirkel um Bob Dylan und Phil Ochs und hatte sich zuvor in San Francisco mit Beat-Heroen wie Neal Cassady die Köpfe heißgeredet. Selbst eine Joni Mitchell war sich später nicht zu schade, auf seinem Album Blue River zu singen, einem kleinen Songwriter-Meilenstein der 70er.

Dennoch gehört der Mann aus Pittsburgh, Pennsylvania, heute zu den eher Unbekannten, auch Verkannten. Daß es ihn Anfang der 80er ins Exil trieb, hat auch nicht gerade geholfen. Die US-Plattenindustrie hatte ihn zu diesem Zeitpunkt ohnehin längst abgeschrieben, da fiel es nicht schwer, dem Ruf der Liebe ins Land seiner Vorfahren zu folgen, wo er heute mit Frau und Kindern unweit von Oslo lebt.

Ein Teilzeit-Vagabund ist Andersen indes geblieben. Unterwegs sein – im realen wie metaphorischen Sinn – war stets sein Thema. Für sein aktuelles Album Memory of the Future war nun auch die Musik selbst unterwegs – was auch die Produktionszeit von fast neun (!) Jahren erklärt. Tapes wanderten zwischen Norwegen, New York und Kalifornien hin und her, wo Top-Musiker wie u.a. Richard Thompson im Freiflug ihr Scherf-lein zum dennoch erstaunlich homogenen Endergebnis beitrugen. „Früher war Kontrolle sehr wichtig für mich“, erläutert Andersen seine Produktionsweise. „Alle sollten nur meine Vorstellungen umsetzen. Doch wenn du weitermachst und das Glück hast, mit wirklich guten Musikern arbeiten zu dürfen, lernst du einfach, ihnen zu vertrauen. Dein Herz sagt dir: Laß sie machen und halt die Klappe!“

Nicht die Klappe halten mochte Andersen angesichts eines neu erwachten Nationalismus, der ihn schon anläßlich des Mauerfalls zum ungewohnt moralisierenden Rain Falls Down in Amsterdam inspirierte, neben dem überraschend groovigen Titelsong das andere Extrem eines Songwriter, der sonst stets die Poesie über die Politik stellte. Jemand habe gesagt, notierte Andersen schon 1965 in seinem Debüt Today is the Highway, er sei den Frauen und den Straßen verfallen. Und er könne sich auch nichts besseres vorstellen, dem man verfallen sein könnte. Heute sagt Andersen, der bereits an einem Duett-Album mit u.a. Lou Reed und Joni Mitchell arbeitet, immerhin nicht nein, wenn die Straße zu einer gar nicht mal so kleinen Tour mit Rob Lamoth ruft, die ihn auch wieder in den Keller an der Brandstwiete führt.

Jörg Feyer Di, 27. April, 21 Uhr, Kunst

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