Auf Montage

Der New Yorker Dr. Israel nutzt die Reggae-historie als Werkzeugkiste  ■ Von Nils Michaelis

Wie kommt ein schwarzer Musiker im New York der neunziger Jahre ausgerechnet darauf, sich Dr. Israel zu nennen? Ein Name als offensichtlicher Verweis auf den Rastafarianismus, mit dem man Jamaika und die siebziger Jahre verbindet. Ein Name auch, der in der Stadt des Hip Hop oder House wie ein Fremdkörper wirken muß. „Israel“ steht in der Mythologie des Rastafarianismus für Entwurzelung, Verschleppung und Heimatlosigkeit.

In Jamaika selbst verlor die Religion der Rastas seit ihrer Hochphase in den siebziger Jahren zusehends an Bedeutung. In den neunziger Jahren beschränken sich die Texte im Dancehall und Reggae überwiegend auf klassische Ghettothemen wie Sex, Waffen oder dienen der eigenen Lobpreisung des Sängers. Sogenannte „Conscious-Lyrics“, Texte also, die die idealistische Gemeinschaft gegen das realistisch Individuelle stellen, bleiben eine Seltenheit. Wer sich also als Musiker zur falschen Zeit am falschen Ort Dr. Israel nennt, hat auch keine plausiblen Gründe linientreuen Rootsreggae zu spielen. Der Name des ehemaligen Zimmermanns mit den Dreadlocks ist insofern Programm, als er als Aussichtsplattform für Ausblicke auf die jamaikanische Musikgeschichte dient: Reggaehistorie als Werkzeugkiste – vor dem Hintergrund eines Lebens in Brooklyn / New York.

In seinen ersten Stücken ließ der Doktor einen seltsamen hochgepitchten Ragga-Gesang auf asthmatische Schlagzeug-sounds treffen. Die Geräuschkulisse von Telespielen der ersten Generation kombinierte er mit schräg ächzenden Synthesizerklängen. Reggae, Dub und Ragga, alles vorhanden, doch in einem neuen Gewand, irgendwie deformiert und dunkel: Fortgeschleppt in eine andere Umgebung entwickeln sich die alten Stile, wollen sie wachsen, neue Äste.

Sehr experimentierfreudig ging und geht es zu beim Brooklyner WordSound Labels. Deren Sampler Crooklyn Dub Consortium machte 1995 auch Dr. Israel erstmals einem größeren Publikum bekannt. In einem Communiqué der viel auf ihre Unabhängigkeit gebenden Kleinstplattenfirma heißt es: „Unser Name kommt von der Redensart der Rastas: Die Klänge von Wörtern haben Kraft. Das meint die spirituelle Energie, die von der Kombination von Wörtern mit Sounds, Sprache, Rhythmus und Ambiente ausgeht.“ Bei Word Sound traf Dr. Israel auf den wilden Hund Bill Laswell. Auch Laswell ist ein Mann, der ebensogerne Gegensätzliches verbindet wie Bekanntes vertieft. Hip Hop, Jazz, Dub Ambient oder Gitarren-Hardcore – immer wieder versorgte Laswell diese Stile mit neuen Kombinationen und damit neuen Perspektiven.

Auf seiner neuen Platte Inna City Pressure geht auch Dr. Israel diesen Weg, verläßt die klassischen Elemente des Reggae und setzt zunehmend auf Kombinatorik. Das allerdings geht dann manchmal daneben. In ihren guten Momenten beginnt Inna City Pressure die Reise mit Jungle-Beats und Ragga-Gesang, um dann zu verhallten Dub-Elementen überzugehen, die einem ihren Ganjadampf direkt ins Gesicht pusten. Zwischenzeitlich aber begibt sich die Platte in bedenkliche Nähe zu volkstümlich-kitschigen Mitsingmelodien oder lächerlich anmutenden Heavy-Metal-Gitarren. Will der Doktor damit nach neuen Hörerschichten greifen? Doch es bleibt bei den Ausrutschern. Man kehrt um, bevor das spirituelle Fahrwasser allzu flach wird.

Live verfügt Dr. Israel ohnehin über genügend Charisma, um solche Unsicherheiten vergessen zu machen. Neben Dr. Israel kommt noch das ähnlich freigeistige japanische Duo Boom Boom Satellites, das immerhin schon Garbage remixen durfte. Mo, 26. April, 21 Uhr, Fabrik