Die Fräuleinwunder verlassen das Land

■ Die Kritiker im Nacken und den Erfolg im Blick: Die Autorinnen Judith Hermann, Zoe Jenny und Felicitas Hoppe trafen sich im Literarischen Colloquium Berlin zum Plausch

Die junge Literaturgräfin Judith Hermann verläßt eilig den weißen Kleinwagen ihres Liebhabers und stürmt in die sonnendurchflutete Eingangshalle der großen ehrwürdigen Villa am Wannsee. Der Hausherr begrüßt sie herzlich, sie stürmt an ihm vorbei, die dunkle Holztreppe hinauf: „Ich geh' schon mal ins Büro. Drei Freunde kommen noch. Bitte laß sie gleich rein“, und fort ist sie.

Sie ist gekommen zum Gipfeltreffen der jungdeutschsprachigen Literatur ins Literarische Colloquium am Wannsee, um mit ihren Bücherstarkolleginnen Zoe Jenny und Felicitas Hoppe über die Folgen des Erfolgs, das Leben in Deutschland, Frauenliteratur und das Schreiben an sich zu sprechen.

Das Haus ist voll wie lange nicht. Etwa vierhundert LeserInnen, Literaturgroupies und Kritiker bringen das schöne alte Haus an die Grenzen seiner Kapazität. Es geht ein bißchen zu wie bei jungen Sportstars oder Musikern, die aus dem Nichts heraus plötzlich Erfolg haben und dann in Talkshows der Öffentlichkeit erklären, wie sie mit der Öffentlichkeit umgehen.

Judith Hermann, die gerade durch die Hochglanzmagazine spaziert, wie Zoe Jenny vor zwei Jahren, als ihr „Blütenstaubzimmer“ mit so ungeheurem Erfolg erschienen war, sagt, sie wolle an diesem Abend gern mit den zwei Menschen sprechen, denen das auch so gegangen ist, „daß sie hinauskatapultiert werden in eine Öffentlichkeit, um die man nicht gewußt hat“.

Hermann meint vor allem die Öffentlichkeit der Kritiker. Die Angst vor dem zweiten Buch, bekennt sie, sitzt ihr im Nacken. Bei jedem Satz, den sie schreibt, sehe sie den Kritiker und wie er sich im Bildschirm spiegelt, der ihr über die Schultern schaut, und sie fragt sich: „Bin ich auch noch das literarische Fräuleinwunder?“, wie sie und ihre Kolleginnen vom Spiegel kürzlich genannt wurden. „Oh Gott, das ist ja grausam, das ist schauerlich! Das sollte so nicht sein!“, ruft eine überraschte Felicitas Hoppe. Sie sei gleich mit dem ersten Preisgeld, das sie für ihren Erzählungsband „Picknick der Frisöre“ gewonnen hatte, ab aufs Meer gefahren, mit einem Containerschiff rund um die Welt, wo sie ihren gerade erschienenen ersten Roman „Pigafetta“ schrieb. „Von so großer Bedeutung ist das an Land auch wieder nicht“, ist ihr auf dem Schiff aufgegangen, und sie empfiehlt diese Erfahrungen Judith Hermann sehr.

Zoe Jenny lebt in Amerika, weil sie da ihre Ruhe hat. Sie ist, wie sie sagt, nach dem Erscheinen ihres ersten Buches gar nicht erst aus der Literatur aufgetaucht, habe immer weiter geschrieben, ohne sich über Erfolg und Mißerfolg Gedanken zu machen. Hier wird sie aber, wenn sie im Park sitzt und schreibt, immer gefragt: „Was schreiben Sie denn da?“ Da sie das unerträglich findet, ist sie in die USA gegangen.

Die Fräuleinwunder verlassen alle nach dem ersten großen Erfolg das Land. Was bei den Sportlern die Steueroasen irgendwo in der Nähe, sind bei den Schriftstellerinnen die Denkoasen möglichst weit weg. Judith Hermann fährt erstmal für einige Monate nach Mexiko. Volker Weidermann