Kriege anderswo: Sudetengau. Teil 10  ■ Von Michael Rudolf

Alle denken an das Kosovo. Wie absurd und scheinheilig die Diskussion um den Einsatz von Bodentruppen ist, zeigt unser heutiges Beispiel Sudetengau. Seit 1990 durchkämmen reguläre deutsche Kampfverbände ohne offizielle Kriegserklärung lustbetont die Grenzregionen der kleinen Nachbarrepublik, mit dem Primärziel, die niederen slawischen Lebensformen humanitär auf eine dauerhafte Nato-Vollmitgliedschaft vorzubereiten. Ganze Busladungen rüstiger und mit Kleingeld aufgerüsteter Reservisten, sogenannte Vorruheständler, werden für friedensstiftende Kampfeinsätze dort abgekippt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Armee der Tschechischen Republik, die sich standhaft weigert, die D-Mark als Hauptwährung einzuführen, ist fast aufgerieben, von nennenswerter Gegenwehr kann keine Rede mehr sein. Unsere Truppen fühlen sich bereits so sicher, daß sie sogar Kind und Kegel zum Marodieren mitnehmen.

Die alte Kaiserstadt Cheb bietet nach anfänglichen und sicher kaum vermeidbaren Greueln unter der Zivilbevölkerung endlich ein vertrautes Bild: Schon am Ortseingang Coop und Aral. Im historischen Ortskern stapeln sich Plus, Kaufland, Spar und Penny. Absatzmärkte für deutsche Produkte zu Spottpreisen für deutsche Kunden. Schilder auf Tschechisch prangen an den Türen: Ich muß draußen bleiben.

Die Truppenbetreuung erfolgt in hospoda oder restaurace genannten Kantinen: Schweinsbraten mit böhmischen Knödeln und eine Flasche Pilsner Urquell, fürs Offizierscorps gibt es auch ein Wahlessen z.B. Gulasch. Alles für den Bruchteil einer Mark. Die Stimmung in der Truppe ist famos. Und mit wichtiger Miene demonstrieren unsere tapferen Jungs ihren Frauen, Kindern und Großeltern militärische i.e. friedenssichernde Lebensart, präferieren Klangerzeugung mit dem Schließmuskel, duzen die verstörten Kellnerinnen oder fassen sie an Stellen.

Nach den üblichen Kampfhandlungen und dem systematischen Leerkaufen aller Supermärkte, also gegen Abend, formieren sich die Truppenkontingente an den Grenztankstellen in Schützenkette, um bruttoregistertonnenweise billiges Böhmenbenzin zu bunkern. Ganz nebenbei werden noch Tausende versklavte „Zigeunerinnen“ vergewaltigt. Die Oberste Heeresleitung hat mit den Betreiberfirmen der örtlichen Damenhäuser moderate Flächentarife ausgehandelt: „Mit Hand 20, mit Mund 30, voll 50 Mark.“ Für Offiziere und Mannschaften. Das geschieht aber nicht unter den Augen einer kritischen Öffentlichkeit, wir Journalisten sind da nicht gern gesehen. Im Krieg stirbt nämlich als erstes die Wahrheit. Dutzende meterhoher Gartenzwerge, palettenweise Becherovka-Fässer, kilometerlange Zigarettenstangen und Monatsproduktionen an Adidas- und Nike-Imitaten schleppen wir zur Tarnung mit uns herum und ziehen verkrustete Joggingkampfanzüge, Antiklederblousons und schlecht verheilte Kaltwellenhauben über. Tun wir es nicht, werden wir aus der Schlange gewunken, mit jahrhundertealten (teils selbst gemalten) Fahndungslisten konfrontiert, mit fränkischen und sächsischen Gassenwörtern schlimm mißhandelt oder einfach nur auf der Flucht erschossen. Also lassen wir ihnen ihren Spaß. Das ist es doch nicht wert, oder?