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Die lockenden Worte der Körperfresser

Wenn Schüler herausfinden, daß ihre Lehrer wirklich von einem anderen Planeten sind: „Faculty“ von Robert Rodriguez zitiert sich einmal quer durch die Videothek. Autoreferenz oder die postmoderne Verführung zur Genealogie der Bodysnatcher-Filme  ■   Von Welf Kienast

„Komm zu uns. Du wirst keine Angst mehr haben. Du wirst nie mehr allein sein. Gleich bist du einer von uns, für immer ...“ „The Faculty“ von Robert Rodriguez ist bereits der vierte Film, in dem diese Worte, lockend und drohend zugleich, von einer Übermacht seelenloser Fleischpuppen an die letzten Überlebenden der menschlichen Rasse gerichtet werden. Parasitäre Riesenbohnen, Körperfresser, sind aus dem All auf die Erde gefallen und haben von den Menschen Besitz ergriffen. Aus warmherzigen Individuen machen sie fühllose Kollektivwesen.

Die Geschichte stammt aus Jack Finneys 1954 veröffentlichtem Roman „Invasion of the Body Snatchers“. 1956 besorgte Don Siegel die erste Verfilmung. 1978 schuf Philip Kaufman das Remake, und 1993 machte sich Abel Ferrara noch einmal an den Stoff. Gegenüber den Vorgängern erlaubt sich „The Faculty“ bedeutende Freiheiten, ja, die Bodysnatcher schaffen es bei Rodriguez nicht einmal in den Titel. Aber trotz oder vielleicht gerade wegen solcher Freiheiten ist „The Faculty“ ein echter Körperfresser-Film.

Die eingangs zitierte Konfrontationsszene markiert Höhepunkt und Wirkungsgeheimnis des Bodysnatcher-Themas. Zunächst hat sich das Grauen langsam aufgebaut. Nachbarn, Verwandte und Freunde haben sich über Nacht in Fremde verwandelt. Jetzt ist der Schrecken allgegenwärtig. Die letzten Menschen stehen mit dem Rücken zur Wand. Entweder müssen sie sich in das Unvermeidliche fügen oder kämpfend die Welt in Trümmer legen. In dieser Entscheidungssituation ergreifen die Bodysnatcher werbend das Wort.

Zwei Angstvorstellungen treffen hier aufeinander: die Angst vor der Vereinzelung und die Angst vor der Verschwörung. In der kindlichen Ich-Werdung wurzelt die anthropologische Urangst, alle Welt um uns herum könne nur zu unserer Täuschung erbaut worden sein. Im entwicklungspsychologischen Normfall geht das Ich gestärkt aus diesen Ängsten hervor. Entsprechend wird die gegebene Einbindung des Individuums ins politische Kollektiv durch ein heilsames Mißtrauen gegen den Staat erschüttert und schärft so das politische Selbstverständnis des einzelnen Bürgers. Werden aber die kindliche Angst oder das politische Mißtrauen zu mächtig, enden sie in Psychose und Paranoia. Wo beide zusammentreffen, ist der Schock beträchtlich. Das gibt den lockenden Worten der Körperfresser ihre Bedeutung. Schlagartig wird die eine, anthropologische Angst in die andere, die politische überführt. Indem sich die Aliens aber outen und für ihr Dasein werben, wird hinter der individuellen Bedrohung plötzlich der rationale Gegenentwurf sichtbar, die Schreckensvision eines totalen Staates, in dem alle Stolperschwellen auf dem Weg zur kollektiven Glückseligkeit ausgemerzt wurden.

Jack Finneys Roman hatte die schleichende Vereinnahmung der USA durch den Kommunismus im Sinn. Bekanntlich macht das starre Klassendenken des Kommunismus die Menschen nicht nur gefühlskalt, sondern auch träge und unfruchtbar. Daher läuft von Finneys Protagonisten nur ein sinistrer Psychoanalytiker zu den Aliens über, während alle übrigen nie ernstlich gefährdet erscheinen. Im Gegenteil: Der biedere, aber etwas flatterhafte Provinzarzt Miles Binell ändert sogar angesichts der impotenten Hülsenfrüchtler seine Meinung über Ehe und Fortpflanzung, mutiert zum Familienmenschen und schlägt die ganze Bohnenbrut in die Flucht.

Bei solcher Geradlinigkeit haben weder Kinderangst noch Verschwörungsparanoia wirklich eine Chance. Don Siegels ansonsten recht werkgetreue Verfilmung nimmt daher an der Konfrontationsszene entscheidende Veränderungen vor. Aus dem zwielichtigen Psychiater wird ein erfolgsverwöhnter Starmediziner, der schließlich sogar Miles' Freundin Becky auf seine Seite bringt. Und selbst das von den Studios verordnete Happy-End vermag nicht die Suggestivkraft der von Siegel vorgesehenen Schlußsequenz zu überdecken: Ein völlig verwirrter Miles wankt hilflos über einen dichtbefahrenen Highway und versucht die Autofahrer vor der Invasion der Körperfresser zu warnen, während rechts und links von ihm schon die ersten Laster vollbeladen mit frischen Bohnenlarven in die großen Städte rollen.

Erst in dieser Konstellation kann die kindliche Angst in staatserschütternde Paranoia umschlagen. Und gerade deshalb versagt auch an Siegels Film der staatlich verordnete Antikommunismus. Was von den Filmemachern womöglich noch als Warnung vor der roten Gefahr gedacht war, erscheint in der Rezeption vorwiegend als Parabel auf den schleichenden Terror des McCarthy-Tribunals und seiner Denunzianten.

Was bleibt von diesem in jeder Hinsicht hoch politisierten Stoff in Philip Kaufmans Remake? Der beginnende Widerstand gegen McCarthy war das erste Glied in einer langen Kette von Erschütterungen des amerikanischen Selbstverständnisses, die von Kennedys Ermordung über das Vietnam-Debakel bis zu Watergate reichte. Danach wich enttäuschtes Engagement bleierner Gleichgültigkeit: Die Bodysnatcher hatten längst gesiegt, nur wußten es manche noch nicht. Daher stattet bei Kaufman Leonard Nimoy den Sprecher der Aliens mit dem ganzen Glanz seiner „Enterprise“-Berühmtheit aus, samt Spocks neunmalkluger Blasiertheit. Die Aliens sind nicht nur effizienter, sondern auch klüger und charismatischer als die Menschen. Dem hat Donald Sutherland als etwas skurriler Nachfahre des wackeren Miles nur sein melancholisches Beharren auf der liebenswerten Fehlerhaftigkeit einer aussterbenden Rasse entgegenzusetzen. Diesem Film ist kein Happy-End mehr anzukleben. Abel Ferrara übernimmt 1993 eine denkbar düstere Vorgabe.

Aber Ferrara gelingt noch eine Steigerung. Bei ihm ist jede Unterscheidung zwischen Aliens und Menschen von vornherein aussichtslos. Das Geschehen spielt auf einer gottverlassenen, von chemischen Kampfstoffen verseuchten Militärbasis. Hier gibt es keine grausige Verwandlung zu entdekken, sondern nur die alltägliche Hölle. Einzig ein paar aus dem fernen Zivilleben zugereiste Teenager sperren sich verzweifelt gegen die Einverleibung. Aber wenn die überlebenden Kids am Ende den ganzen Standort aus der Welt bomben, dann sind auch sie längst dem gleichen Schuldzusammenhang erlegen, der ihnen zuvor die Erwachsenenwelt zu Aliens werden ließ. Daher findet die Konfrontationsszene auch nicht mehr wirklich zwischen den Protagonisten statt, sondern als eine belauschte Episode am Rande. Wie die Aliens ihren Herrschaftsanspruch rechtfertigen und was die sterbende Menschheit dagegen vorzubringen hat, ist diesem ausweglosen Film ganz einerlei.

Zwar hat Ferrara mit seinen pubertierenden Helden die politische Paranoia konsequent an ihre anthropologischen Wurzeln zurückgebunden, wie aber konnten Robert Rodriguez („From Dusk till Dawn“) und Drehbuchautor Kevin Williamson („Screem!“) nur darauf verfallen, aus solch düsterem Vorgänger einen superfrohen Highschool-Film zu basteln? Das Ganze hat Witz und Tempo, zeigt ein paar recht unappetitliche Special Effects, zitiert sich einmal quer durch die Videothek und liefert im Soundtrack neben anderen Petitessen die lang ersehnte Heavy-Metal-Version von „Another Brick in the Wall“. Mit dem Horror freilich scheint es ein für allemal vorbei. Von politisch motivierter Paranoia weiß dieser Film genausowenig wie seine halbstarken Protagonisten von kindlichen Entfremdungsängsten. Die Aliens in „The Faculty“ entwachsen nicht länger den bekannten Bohnenhülsen, sondern einer komplizierten Kreuzung verschiedenster Kinomonster, die Menschen dagegen verdanken sich einer kühnen Überschneidung der hollywoodüblichen Highschool-Klischees mit dem bekannten Bodysnatcher-Personal. Kids wie Lehrer sind in diesem Film Zitate, wissen das und machen ihre Witze darüber. Aber gerade hier – in denkbar größter Distanz zu allen vorherigen Bodysnatcher-Varianten – zeigt sich, daß Rodriguez und Williamson wirklich einen echten Bodysnatcher-Film im Auge hatten: Eigentlich müßte uns das zitierte Zelluloidpersonal ja herzlich kalt lassen, doch „The Faculty“ unterläuft erfolgreich die geläufige Trennung zwischen den autoreferenziellen Filmfiguren und dem Publikum. Aller Spaß beim heiteren Zitateraten nährt doch bloß die schlimme Sorge, unser eigenes Dasein möchte am Ende genauso kinogeneriert sein wie das auf der Leinwand. Was zunächst als postmoderne Verwurstung eines Horrorgenres beginnt, entpuppt sich am Ende als Horror der postmodernen Existenz, und unter der knallbunten Oberfläche bleibt der Kern des Bodysnatcher-Phänomens gerade so bedrohlich erhalten, wie es zum Ende unseres Jahrhunderts nur eben gelingen kann: 1956 lautete die Frage: Was, wenn alle, meine Freunde, meine Familie, ja sogar der Staat, in Wahrheit nur gefühllose Fleischpuppen sind? Heute fragt Rodriguez nicht weniger ernsthaft zurück: Was, wenn alle, der Staat, die Familie, ja sogar meine Freunde, in Wahrheit nur Zitate wären aus alten Körperfresser-Filmen?

„The Faculty“. Regie: Robert Rodriguez. Mit Salma Hayek, Joradana Brewster, Clea DuVall u.a. USA 1999, 107 Min.

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