Schulschießerei in Denver

Erneut schossen in den USA schwerbewaffnete Schüler um sich. Die Minderjährigen hatten es besonders auf Schwarze und Hispanics abgesehen  ■   Aus Washington Peter Tautfest

An den Krieg im Kosovo ließ denken, was am Dienstag nachmittag über Amerikas Bildschirme flimmerte: Gepanzerte Fahrzeuge, hinter denen schwerbewaffnete Polizeitruppen vorrücken, leblose Körper, die am Boden liegen, blutüberströmte Verletzte, die abtransportiert werden, ganze Gruppen von Menschen, die mit erhobenen Armen im Laufschritt aus einem umkämpften Gebäude geführt werden.

Die Bilder kamen aus einer Schule in Littleton im Bundesstaat Colorado, einem Vorort von Denver. Kurz vor der Mittagspause betraten zwei schwerbewaffnete Schüler in schwarzen Trenchcoats und Schimasken die Columbine High School und begannen Mitschüler zu erschießen. „Er hielt mir die Gewehrmündung ins Gesicht und begann zu lachen“, erzählte eine Schülerin mit blutenden Armen dem lokalen Sender KMGH, „er erschoß Schüler unmittelbar vor mir und sagte mir, es sei, weil die gemein zu ihm gewesen seien.“ „Die beiden schienen ein besonderes Augenmerk auf Schwarze und Hispanics sowie auf Schulsportler zu haben“, berichtete ein anderer Schüler. Über Stunden war nicht klar, wie groß die Gruppe der Bewaffneten war, die auch mit selbstgebastelten Bomben um sich warfen. Schüler und Lehrer verbarrikadierten sich in Klassenräumen und mußten von Polizeieinheiten befreit werden. Während die über Handy von ihren Kindern herbeigerufenen Eltern in einer benachbarten Grundschule auf den Ausgang der Schlacht warteten, wurden die befreiten Schülerinnen und Schüler mit erhobenen Händen aus dem Schulgebäude geführt. Die Polizei konnte anfangs nicht zwischen Opfern und Tätern unterscheiden und vermutete, daß das Massaker das Werk mehrerer Schüler sei.

Zunächst wurde von 25 Toten und mindestens drei Tätern gesprochen. Jetzt, da sich der Pulverdampf gelichtet hat, geht man von 15 oder 16 Toten aus. Darunter sind auch die beiden Täter, die sich in der Schulbibliothek selber erschossen. Ob die Täter, die zur sog. „Trenchcoat Mafia“ gehörten, einer Clique von Jugendlichen, die sich als Outcasts verstanden, ob sie allein handelten oder Mitwisser und -täter hatten, ist bisher noch unklar. Das weitläufige Schulgebäude, das fast 2.000 Schülern Platz bietet, wird zur Zeit systematisch nach den Bomben durchsucht, die die beiden Schüler mitgebracht hatten.

Dies ist die bisher schlimmste Katastrophe in einer Folge von Schulschießereien, die nationales und internationales Aufsehen erregt hatten. Im Schuljahr 1997/98 wurden zwölf Schülerinnen und Schüler von Mitschülern erschossen und 44 durch Schußwaffen verletzt. Die Namen der Orte und Unglücksschulen sind im nationalen Bewußtsein eingebrannt: Pearl, Mississippi, Paducah, Kentucky, Jonesboro, Arkansas, und Springfield, Oregon. Im zu Ende gehenden Schuljahr 1998/99 sah es zunächst ganz danach aus, als seien die Maßnahmen, die im ganzen Land gegen Gewalt an Schulen ergriffen wurden, erfolgreich. „Nur“ sechs Tote durch Gewaltausbrüche und drei Selbstmorde hatte es bis Dienstag im laufenden Schuljahr gegeben. Verglichen mit 42 Toten im vorausgegangenen und 26 Toten im Schuljahr 1996/97 eine „passable“ Bilanz. Das war der Stand vom Montag.

Zu den Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalt an Schulen gehörten nicht nur Metalldetektoren am Schuleingang und die Beschäftigung pensionierter Polizisten als Sicherheitspersonal an Schulen, sondern auch die Einrichtung von anonymen Hotlines, über die Schüler Beobachtungen über beunruhigendes Verhalten anderer Schüler melden konnten. In den Schulen wurden Kurse zur Konfliktbewältigung und Gewaltvermeidung eingeführt.

Anders als die Schulen in Mississippi, Kentucky, Arkansas und Oregon, die alle im dünnbesiedelten ländlichen Raum liegen, steht die Columbine High School im ausufernden Großraum von Denver, dessen High-Tech-Industrie Amerikas Westen verwandelt.