Im Meinungskorridor

■  Hoppla: Die Leitung der „Berliner Zeitung“ kippte am Dienstag einen umstrittenen Kommentar zum Kosovo einfach aus dem Blatt

Die durch die Medien vermittelte Meinung zum Krieg im Kosovo ist ziemlich einheitlich. Nur selten wenden sich die Leitartikler gegen die herrschende Meinung, der Nato-Einsatz auf dem Balkan sei gerechtfertigt. Wer für diese Einheitsansicht verantwortlich ist, läßt sich nicht leicht klären.

Nun erhellte der Herausgeber des Gruner + Jahr-Tageszeitungsflaggschiffs Berliner Zeitung, Dieter Schröder, die Entscheidungsstrukturen. Er kippte am Dienstag einen Leitartikel seines Wirtschaftsredakteurs Stephan Kaufmann von der „Meinungsseite“. Dessen Kommentar hatte unter der Überschrift „Strapazierte Humanität“ die Nato nicht nur ob ihrer Haltung in Völkerrechtsfragen angegriffen, sondern ihr gleich die Verantwortung für den Bürgerkrieg im Kosovo zugeschoben: „Sie hat die UÇK als Bürgerkriegspartei anerkannt und gleichzeitig die Serben in ihrer Ordnungspolitik gebremst. Die Konstellation hatte dafür gesorgt, daß die überlegene Seite nicht gewinnen konnte und die unterlegene nicht verlieren mußte.“

Über diese These läßt sich trefflich streiten. Sicher ist jedoch, daß Schröder, nachdem er diese Zeilen in der früher gedruckten überregionalen Ausgabe gelesen hatte, nach Absprache mit dem kommissarischen Chefredakteur Franz Sommerfeld gleich den ganzen Leitartikel strich. Ausgerechnet Kaufmanns direkten Vorgesetzten im Wirtschaftsressort, Christoph Keese, baten die beiden für die spätere Berlin-Ausgabe um einen anderen Text – zur Fusion der Telekom mit Telecom Italia.

Offiziell wird dieser Eingriff in die Rechte der Redaktion mit der Aktualität der Meldung begründet. Auf den Fluren der Berliner Zeitung ist man jedoch äußerst erbost über den Alleingang der Chefs. „Die Stimmung in der Redaktion ist vergiftet“, glauben nicht wenige Redakteure, „und der Schaden irreparabel.“ Über Kaufmanns Artikel war bei Konferenzen schon länger diskutiert worden. Am Dienstag entschied man sich dafür, ihn auf Seite 4 zu veröffentlichen. „Auf der Meinungsseite sollen grundsätzlich alle Ansichten zu Wort kommen“, befindet auch Götz Aly, der zuständige Redakteur, „auch wenn ich in diesem Fall die Kaufmanns nicht teile.“ Am Mittwoch früh sei Schröder dann auf der Morgenkonferenz zur Rede gestellt und aufgefordert worden, seinen Fehler einzugestehen, erzählt ein anderes Redaktionsmitglied. Dieses Ansinnen habe der Herausgeber „cholerisch und zitternd“ verweigert.

Sommerfeld wollte sich zum redaktionsinternen Ärger nicht äußern: „Ich könnte sagen, daß die Telekom das wichtigere Thema war“, reagierte er auf Nachfrage sibyllinisch, „möchte das aber grundsätzlich nicht kommentieren.“ Auch Schröder redet nicht über sein Solo, versichert aber, daß „die Pluralität in der Zeitung“ gewahrt bleibe. Und Keese, der eingewechselte Leitartikler, sieht in dem Vorgang nichts Besonderes: „Die Zeitung kann schließlich nicht einfach mit einem Loch erscheinen.“ Seine Kollegen denken darüber anders: „Keese ist im Grunde genommen ein Plastikmann, weich in alle Richtungen“, urteilt einer, „und sein Vorgehen war schändlich.“

Schlimmer als der innerredaktionelle Schaden ist die Wirkung dieser Zensurmaßnahme – nicht nur für die Berliner Zeitung, die schon seit dem Wechsel vom Ex-Chef Michael Maier zum Stern (und wohl auch noch mindestens bis zum Amtsantritt des neuen Chefredakteurs Martin E. Süskind im Mai) führungslos vor sich hin schwächelt. Zum ersten Mal wurde offensichtlich, daß es in Zeitungen einen „Meinungskorridor“ (Schröder) oder besser eine Blattlinie gibt, aufgrund derer die Autoren kommentieren sollen. Und daß es kritische Stimmen gibt, die besser nicht zu Wort kommen. „Einige Kollegen sind feige und fürchten um ihren Arbeitsplatz“, urteilt denn auch einer der Redakteure. Offenbar zu Recht, wie sich am eigenmächtigen Handeln ihrer Chefs zeigt. Eberhard Spohd

„Die Stimmung in der Redaktion ist vergiftet“, glauben nicht wenige Redakteure, „und der Schaden irreparabel“