520 Sonntage mit stillem Anti-Atom-Protest

■ Die Mahnwache Gundremmingen feiert ihr Zehnjähriges und macht immer weiter

Gundremmingen (taz) – Es regnet in Strömen, die Straßen in Gundremmingen sind menschenleer. Bis auf jenes Grüppchen von Atomkraftgegnern, das sich seit zehn Jahren jeden Sonntag um 15 Uhr vor dem Haupttor des größten deutschen Atomkraftwerkes aufbaut. Mal sind es nur drei, vier Frauen und Männer, dann wieder dreißig und mehr – abhängig von den Schlagzeilen, die die Atomenergie gerade macht, und davon, ob ein neuer Castor-Transport unmittelbar bevorsteht. Sie haben viele Transporte gesehen und sich auf die Schienen gesetzt und von Polizeibeamten wegtragen und sogar einsperren lassen.

Zum dritten Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hatte sich die „Mahnwache Gundremmingen“ gegründet. Seitdem ist die Gruppe um die Hebamme Sigrid Birrenbach, die Kindergärtnerin Doris Kainz, um Rolf Hiemer, Volker Nick und den Biobauern Koni Link zu einer Institution der Atomkraftgegner geworden. 520 Sonntage haben sie hier verbracht, haben Pappschilder in den Himmel vor den riesigen Kühltürmen gehalten. Oder ein „Die-in“ veranstaltet. Minutenlang lagen sie dann am Boden wie tot. Dann fielen die Kameraleute in die Stadt ein, und abends flimmerten die Bilder über alle Kanäle, vor allem, wenn auch Greenpeace kam und beispielsweise Container mit eingeschweißten Aktivisten auf die Werksgleise wuchtete.

„Ich empfinde eine Achtung für diese Leute, die jahrelang für ihre Ziele eintreten“, gibt Ulrich Feistle zu. Mehr als zehn Jahre war der Kriminalhauptkommissar von der Polizeidirektion Krumbach als Einsatzleiter immer wieder vor Ort. „Es sind keine bösen Worte gefallen, wir wurden nicht beleidigt, wir wurden nicht angegriffen.“ Und trotzdem griff Feistle immer wieder ein, bei Schienenblockaden und vor allem bei den Aktionen „Ausrangiert“ – Atomkraftgegner räumten Schotter von den Gleisen vor dem AKW. Sachbeschädigung ist das und somit juristisch gesehen Gewalt. Verurteilenswürdig in den Augen eines der Hauptrichter am Memminger Landgericht, der mitunter strenge Urteile verhängte.

Für den Werksleiter des AKW, Gerd von Weihe, bedeuten zehn Jahre Mahnwache zehn Jahre Ärger, Diskussionen und zehn Jahre Beobachtung mit Argusaugen. So gut wie nie ist es ihm und seinen Mitarbeitern gelungen, einen Transport abgebrannter Brennelemente zu verheimlichen.

Den Mahnwachenden wurde Verbissenheit und Sektierertum vorgeworfen, Kraftwerksmitarbeiter und Gundremminger pöbelten sie an. So manch einer hat sich eine kräftige Erkältung vor den Werkstoren zugezogen, aber unterkriegen ließen sie sich nicht.

„Wir leben in einem wesentlich entkrampfteren Verhältnis“, sagt von Weihe heute, mahnt aber trotzdem: „Wenn man anfängt, Schienenstränge zu demontieren, dann, kann ich nur sagen, ist die Toleranzschwelle überschritten.“

Es könnte schon bald wieder soweit sein. Denn das AKW Gundremmingen hat sechs neue Groß-Castoren vom Typ V 52 bestellt. Von Weihe geht davon aus, daß – Ausstiegsdiskussion hin oder her – schon zur Jahresmitte Transporte nach Ahaus oder Gorleben rollen. „Die Bundesregierung hat ja gesagt, daß sie keine Verstopfungsstrategie fahren will.“ Spätestens dann steht die Mahnwache parat. „Die Bundesregierung muß zu ihren Ausstiegsplänen stehen“, fordert Mahnwache-Mitglied Link. Und auch wenn er angesichts des Bonner Schlingerkurses zu mehr Konsequenz aufruft, geht er doch davon aus, „daß spätestens in acht Jahren dieses Atomkraftwerk stillgelegt sein wird“. Klaus Wittmann

Heute abend findet in Günzburg (Forum Hofgarten) das Fest zum Zehnjährigen statt, mit Liedermacher Sepp Raith und etlichen Rednern. Und am Montag ist dann – zum Tschernobyl-Jahrestag – von 10 bis 17 Uhr eine „Tagespräsenz am AKW Gundremmingen“ geplant.