Die neue Nato sieht alt aus

■ Angesichts des 50. Jahrestages der Nato steht die Mehrheit des Bundestages hinter dem Kosovo-Einsatz. Allerdings werden unterschiedliche Folgerungen für die Nato gezogen

Der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe mußte schon weit in die Historie zurückgehen, um in Fragen der Nato einen veritablen Widerspruch zum jetzigen Außenminister Joschka Fischer auszumachen. „Nato-Doppelbeschluß“ lautete das Reizwort vergangener Tage. Unter dem Stichwort „Kosovo“ herrschte hingegen in der gestrigen Bundestagsdebatte ein Maß an Einigkeit zwischen den ehemaligen und jetzigen Regierungsfraktionen, als gelte es, auch an der Heimatfront vornehmlich Geschlossenheit zu zeigen.

Fünfzig Jahre Nato werden morgen in Washington begangen, eine neue Strategie soll verabschiedet werden. Über die Bedeutung des Kosovo-Konfliktes für die Zukunft der Nato, über die Lehren, die zu ziehen sind, darüber gingen die Meinungen allerdings auseinander.

Kein Widerspruch in den Regierungsfraktionen, als Bundeskanzler Schröder in seiner Regierungserklärung nochmals die Bedingungen für die Suspendierung der Luftschläge nannte: unverzügliche Beendigung aller Gewaltakte; Rückzug aller militärischen Kräfte und der Sonderpolizei aus dem Kosovo; die Stationierung internationaler Sicherheitskräfte. Diese Schritte, so betonte auch Fischer, müßten „verifizierbar eingeleitet werden“. Erst dann würden die Nato-Waffen schweigen.

Diejenigen in Fischers Fraktion, von denen man weiß, daß sie sich eine andere Reihenfolge wünschen, schwiegen.

FDP-Chef Gerhardt mahnte überprüfbare politische Fortschritte dieses Konzeptes an. Man werde auf Grundlage dieses Planes, versicherte ihm Fischer, in Washington das Gipfeldokument diskutieren. Einschränkend verwies er jedoch zugleich auf die innenpolitische Debatte in den angelsächsischen Ländern. Die, so Fischer, „läuft anders“.

Dem Vernehmen nach soll auf dem Gipfel auch über den Einsatz von Bodentruppen und die Entmachtung von Miloevic diskutiert werden. Fischer ordnete die Erfolgsaussichten seines Friedensplanes mit dem Verweis auf die „Gewichtsverhältnisse“ in der Nato ein. Es spiele schon eine Rolle, ob man vier von vierhundert Kampfflugzeugen stelle. Einhellig wurde Rußland aufgefordert, eine aktive Rolle in dem Vermittlungsprozeß einzunehmen.

Im Laufe der Debatte wurde deutlich, daß an zwei Punkten unterschiedliche Lehren aus dem Konflikt für die neue Nato-Strategie gezogen werden.

Die CDU/CSU forderte, bei der Weiterentwicklung des strategischen Konzeptes „die Einsatzfähigkeit der Allianz zu erhalten, auch für den Fall, daß keine Übereinstimmung im Sicherheitsrat erzielt werden kann“. Zur Abwendung einer humanitären Katastrophe müsse es „auch ohne ausdrückliches Mandat der Vereinten Nationen“ möglich sein, als Ultima ratio Streitkräfte einzusetzen.

Verteidigungsminister Scharping forderte hingegen, Einsätze dürften prinzipiell nur „auf der Grundlage des Völkerrechts und in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen“ erfolgen. Ähnlich äußerten sich auch Fischer und Schröder. Während ersterer sich im Zusammenhang mit dem Kosovo-Einsatz gegen die „formale Debatte“ um die völkerrechtliche Zulässigkeit wandte, sah letzterer diese Zulässigkeit angesichts der humanitären Katastrophe gegeben. Fischer will das Gewaltmonopol des Sicherheitsrates nicht in Frage gestellt sehen, will dessen Inhaber aber künftig der Verpflichtung unterwerfen, „daß sie es im internationalen Interesse umsetzen“.

Zudem bestand der Außenminister darauf, daß die Nato auch zukünftig „eine regionale Sicherheitsorganisation“ sei, eine „Überdehnung“ der Nato würde sie gefährden. Hingegen setzte Scharping einen deutlichen Akzent auf das „Krisenmanagement“. Das Bündnis werde seine militärischen Fähigkeiten mit Blick auf ein erweitertes Aufgabenspektrum optimieren.

Noch akzentuierter sprach Rühe davon, man werde „nicht nur das Territorium, sondern gemeinsame Interessen“ vertreten. Dafür müsse Europa handlungsfähig werden. Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Helmut Lippelt, sagte demgegenüber, die Nato sei als Organ des Krisenmanagements hinfällig. Die OSZE, ergänzte Fischer, habe „eine wichtige Komplementärfunktion“. Diese sei weiterzuentwikkeln. Während also Union und Scharping die Aufgaben der Nato ausweiten wollen, plädierten die Redner der Grünen eher dafür, sie auf ihre bestehende Funktion festzuschreiben. Der Redner der PDS, Wolfgang Gehrke, hingegen sieht bereits „den Anfang vom Ende der Nato“ gekommen.

Dieter Rulff, Bonn