„Dieses seltsame Phänomen Religion“

Hamburgs CDU macht sich für den Islamunterricht stark. Dabei heißt das Motto der Hansestadt längst „Religion für alle“. Offen ist nur, ob Muslime unterrichten dürfen  ■ Von Karin Flothmann

In fünf Jahren wird es auch in Hamburger Schulen muslimische Lehrerinnen und Lehrer geben, die Religion unterrichten. Davon ist Horst Gloy überzeugt. „Wir beziehen schon heute muslimische Kollegen in den Unterricht mit ein“, erläutert der Leiter des Pädagogisch-Theologischen Instituts der Nord-elbischen Kirche (PTI). Denn anders als in allen anderen Bundesländern hat sich Hamburg 1972 dem „Religionsunterricht für alle“ verschrieben.

SchülerInnen sollen hier ungeachtet ihrer unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründe gemeinsam im Fach Religion unterrichtet werden und dabei sowohl das christliche Erbe als auch Judentum, Islam und Buddhismus kennenlernen. „Schule hat doch die Aufgabe, sich in möglichst offener Form mit diesem seltsamen Phänomen Religion auseinanderzusetzen“, meint Gloy. „Glaubensüberzeugungen kann sie heutzutage eh nicht mehr transportieren.“

Hamburgs ChristdemokratInnen und verschiedene VertreterInnen muslimischer Organisationen sind da anderer Meinung. Erstere liebäugeln damit, sich für einen gesonderten Islamunterricht an Hamburgs Schulen starkzumachen. Immerhin hatte sich dafür auch die Bundespartei im Zuge ihrer Kampagne gegen den Doppelpaß ausgesprochen.

Um über „Möglichkeiten und Grenzen des islamischen Religionsunterrichts“ zu diskutieren, lud die CDU am Donnerstag abend daher ins Rathaus. Vertreter des PTI waren nicht aufs Podium geladen, ebensowenig Angehörige der Konferenz der Muslime Hamburgs oder des Alevitischen Kulturzentrums. Sie allesamt stehen hinter dem Konzept „Religion für alle“. Im Bürgersaal des Rathauses versammelten sich stattdessen in erster Linie FürsprecherInnen eines gesonderten Islamunterrichts.

Warum sie für einen eigenen Religionsunterricht plädieren, leuchtet ein. In Deutschland leben inzwischen mehr als drei Millionen Menschen muslimischen Glaubens. Das Grundgesetz regelt in Artikel 7 Absatz 3, daß Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften“ an den staatlichen Schulen erteilt werden soll. „Und dieses Grundrecht gilt für alle Menschen, nicht nur für Deutsche“, findet Hakki Keskin, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. „Der Islamunterricht“, da ist sich der frühere SPD-Bürgerschaftsabgeordnete mit der CDU einig, „wird einen wesentlichen Beitrag zur Integration muslimischer Kinder leisten.“

Emine Demirbüken (CDU), Ausländerbeauftragte im Berliner Bezirk Schöneberg, ist sich da nicht so sicher. Auch sie möchte in Berlin islamischen Religionsunterricht etablieren, aber nicht so bedingungslos wie Keskin. Erst im vorigen Jahr erstritt sich die Islamische Föderation in Berlin vor dem Verwaltungsgericht das Recht, in der Hauptstadt als Religionsgemeinschaft Islamunterricht an den Schulen zu erteilen. Viele islamische Gemeinden waren entsetzt, denn die Föderation gilt als fundamentalistische Organisation. „Um solchen Inhalten etwas entgegenzusetzen“, so Demirbüken, „sieht sich die Berliner Verwaltung jetzt gezwungen, Alternativen anzubieten.“

Wie die aussehen könnten, erläutert Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen. Seiner Meinung nach sollte Islamunterricht den gleichen Stellenwert erhalten wie der evangelische. In Nordrhein-Westfalen, wo sein Zentrum ein Gutachten zum islamischen Religionsunterricht erstellte, wird im muttersprachlichen Unterricht die „religiöse Unterweisung für Schüler islamischen Glaubens“ angeboten. Ähnlich verfahren türkische LehrerInnen auch an Hamburgs Schulen. Dieser Unterricht, so weiß Sen, basiere in erster Linie auf den Glaubensüberzeugungen der türkischen Sunniten und grenze somit andere Richtungen im Islam, etwa die Aleviten, aus.

Muslime aller Glaubensrichtungen sollten daher in Deutschland zu islamischen ReligionslehrerInnen ausgebildet werden, der Unterricht sollte in deutscher Sprache erteilt werden und auch für Kinder christlichen oder anderen Glaubens offen sein. „Es gibt doch längst einen Euro-Islam“, ist Sen überzeugt. „Im Ruhrgebiet rennen Jungs und Mädchen halbnackt in die Disco, doch während des Ramadans hören sie pünktlich auf zu feiern und beginnen zu fasten.“ So was, da ist sich Sen sicher, „wäre in der Türkei undenkbar.“

Sen plädiert vor allem vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen für einen regulären islamischen Religionsunterricht. In Hamburg sieht die Situation jedoch anders aus. „Hier gibt es insgesamt 106 verschiedene Religionsgemeinschaften“, konstatiert Helge Adolphsen, Hauptpastor des Hamburger Michel. Nicht auszudenken, wenn sie alle eigenen Unterricht reklamierten. Grundsätzlich könnten er und seine Hauptpastorenkollegen dem Islamunterricht zwar zustimmen, meint Adolphsen, dies sei ja auch die Position der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Doch als Hamburger bevorzugt er das Modell des Religionsunterrichts für alle. „Immerhin sind in dieser Stadt die Weltreligionen zu Nachbarschaftsreligionen geworden.“

„Islamunterricht verhindert die Möglichkeit, etwas über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Religionen zu erfahren“, meint auch Mehdi Imam Razvie vom Islamischen Zentrum Hamburg. Der Theologe, der seit fast 40 Jahren als Imam in Hamburg lebt und arbeitet, ist davon überzeugt, daß „Religion eine ganzheitliche, universale Angelegenheit“ ist. „Als solches hat sie keinen Anspruch auf Absolutheit.“ Dem isolierten Islamunterricht steht Razvie äußerst skeptisch gegenüber; er befürchtet, daß dort gegenseitige Vorbehalte verstärkt werden.

Ähnlich sieht es auch der Hamburger Landesschulbeirat, dem VertreterInnen aller gesellschaftlich relevanten Gruppen von Gewerkschaften bis hin zu Handelskammer und Universität angehören. Erst Mitte des Monats, am 12. April 1999, verabschiedete das Gremium, das die Schulbehörde berät, einstimmig eine Stellungnahme: „In einer pluralistischen Gesellschaft mit wachsenden Migrationsbewegungen gehören die Traditionen und Weltsichten der verschiedenen Religionen zum gemeinsamen Bildungsgut und müssen daher allen Schülerinnen und Schülern vermittelt werden“, heißt es dort. Ein solcher Unterricht sei „nicht als konfessionell getrennter Unterricht zu denken“.

Zugleich stellen die Mitglieder des Landesschulbeirats die Frage, ob es weiterhin notwendig sei, daß in Hamburg nur Religionslehrer werden kann, wer einer protestantischen Kirche angehört. Der schulpolitischen Sprecherin der GAL, Christa Goetsch, schwebt längst mehr vor. Sie möchte an Hamburgs Universität eine islamische Akademie einrichten. Dort könnten Muslime dann LehrerInnen werden, um anschließend „Religion für alle“ zu unterrichten.