Rock & Filz & Pop

Es gibt keine Literatur außer den Nachrichten: Joachim Teschners Debütroman „Nüchtern geht's auch nicht“  ■ Von Klaus Modick

Die deutsche Gegenwartsliteratur ist derart heterogen und vielfältig, daß schon marginale stoffliche Ähnlichkeiten und stilistische Überschneidungen ausreichen, um von der kategorisierungswütigen Kritik als Trend dingfest gemacht zu werden. Auf der unermüdlichen Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner lautet der letzte Schrei: Literatur goes Pop beziehungsweise umgekehrt. Rockmusiker schreiben Bücher, und Schriftsteller entdecken die Reize der Popkultur. Auf den ersten Blick scheint „Nüchtern geht's auch nicht“, der Debütroman des ehemaligen Rock-Gitarristen Hans Joachim Teschner, der heute als Gitarrenlehrer in Varel lebt, diesen Trend zu bedienen. Mit unverhohlen autobiographischem Impuls wird hier nämlich die Geschichte eines abgehalfterten Rock-Gitarristen erzählt, der sich als Gitarrenlehrer ins heimatliche Varel zurückzieht. Soweit, so langweilig.

Nun bringt aber Teschner sein erzählendes Alter ego, dessen Trachten nach Glück, Glanz und Ruhm nach wie vor ungestillt ist, auf die Idee, einen Roman zu schreiben. Getreu der Maxime: „Verkenne dich selbst“, die – wenn sie wie hier literarisch kompetent funktionalisiert wird – zuverlässig zu hochkomischen Resultaten führt, macht sich der müßiggehende Musikant ans Werk: Ein Kultbuch muß es werden. Als Gegenstand wählt er den kommunalpolitischen Filz seiner Heimatstadt, eine ebenso üble wie übliche Gemengelage aus politischer Opportunität, persönlicher Vorteilsnahme, Profitgier und erotischen Koalitionen über alle Parteigrenzen hinweg.

Damit rammt der literarische Ehrgeiz des Erzählers allerdings zielstrebig die Mauer faktischer Macht. Denn „die Wirklichkeit hat bisher jede noch so unrealistische und perverse Phantasie hilfsweise eingesetzter Literaten locker überrundet. [...] Wer einen Roman schreiben will, braucht nichts: nichts als die täglichen Nachrichten. Es gibt keine Literatur außer den Nachrichten. Alles, was von der Berufsgruppe der Schriftsteller erfunden wird, [...] also alles Zusammengestellte und würzig Gemixte, dies alles ist fades Pappgewäsch.“

Das Problem verschärft sich, insofern die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit immer weiter verschwimmen, je genauer der Erzähler sie zu ergründen versucht. Gehört jener betroffenheitstriefende Alternative, der durch die scheinbare Wirklichkeit geistert, nicht vielleicht doch eher in den Roman? Und was ist mit dem Erzähler selbst, der von sich behauptet, der Autor zu sein? Indem Teschner derart gründlich und überaus komisch literarische Identitätsverwirrungen inszeniert, erweist er sich als ein mit allen Wassern postmoderner Dekonstruktionstechniken gewaschener Autor, der ganz nebenbei noch allerlei Stilparodien vom Stapel läßt. So wird durchexerziert, welcher Schwachsinn entsteht, folgt man der Metaphern-Angeberei des als Kultautoren durchgereichten T. C. Boyle; oder zu welchen pseudologischen Hirnrissen die Diktion naturwissenschaftlicher Forschungsberichte führen kann.

Teschner zieht alle Register manieristischer Selbstbezüglichkeiten, die spätestens seit Lawrence Sterne literarisch Schule gemacht und im Dekonstruktivismus zu sich selbst gefunden haben. Als Folie schimmert gelegentlich Flann O'Briens „In Schwimmen-Zwei- Vögel“ durch, jener Roman, über den Graham Greene bemerkte, er erfülle einen mit jenem Vergnügen, das man empfindet, wenn auf der Bühne Porzellan zu Bruch geht. Auch bei Teschner wird lustvoll das Porzellan ästhetischer Normen zerschlagen, und das Vergnügen steigert sich beträchtlich, weil hier noch anderer Hausrat der kulturellen und sogenannten gegenkulturellen Konvention zerdeppert wird. Der ätzende Zynismus, mit dem beispielsweise der ehemalige Insider Teschner der Rockmusik den literarischen Marsch bläst, wenn er die alkoholselige Inspirationslosigkeit eines Übungsabends beschreibt, ist überaus treffsicher.

Und Gift und Galle, die er kübelweise über das Marionettentheater mauschelnder Kommunalpolitik ausgießt, ist mehr als Entlarvung einer Provinzposse und gewinnt durchaus exemplarische Kraft. Eine der gelungensten Figuren des Romans ist der Vareler Bürgermeister Rudi Röker (SPD), ein Intrigant und skrupelloser Drahtzieher, der sich mit freiwilliger intellektueller Selbstbescheidung, entfesseltem Opportunismus, dickschädeliger Bauernschläue und hemmungslosem Ellenbogeneinsatz seine Karrierebahn freitrampelt. Wer bei diesem „gestandenen Mannsbild“ aus den norddeutschen Niederungen an den amtierenden Bundeslandwirtschaftsminister Funke (SPD, Varel) denkt, assoziiert wohl in die richtige Richtung. Schließlich gibt es ja keine Literatur außer den Nachrichten. Die Binsenweisheit, daß neue Entdeckungen immer von den Rändern der kulturellen Entwicklung kommen, wird durch „Nüchtern geht's auch nicht“ erneut bestätigt. Mit Hans Joachim Teschner macht sich jedenfalls ein Außenseiter des Literaturbetriebs nachdrücklich bemerkbar. Wir wollen hoffen, daß er noch öfter die Gitarre mit dem Keyboard seines Schreib-PCs vertauscht.

Hans Joachim Teschner: „Nüchtern geht's auch nicht“. Roman. Lappan Verlag, Oldenburg 1999, 186 Seiten, 28 DM