Der Patriarch AT&T greift ein

■ US-Telekom-Riese will schon wieder Konzern kaufen: Alle wollen an die Haushalte ran

Berlin (taz) - Die Telefonbranche wundert sich noch über die Frühlingsgefühle bei Deutscher und Italienischer Telekom, da folgt schon das nächste Aufgebot aus den USA. Für insgesamt 62,5 Milliarden Dollar (115 Milliarden Mark) will AT&T seinem Harem eine weitere Braut einverleiben. Der ehemalige Ferngesprächsmonopolist in den Staaten will MediaOne übernehmen, einen Konzern mit einem großen Kabelnetz. „Die Amerikaner haben auf jemanden gewartet, der ihnen ein anderes Kabel zu ihrem Heim anbietet,“ so AT&T-Vorstandschef Armstrong gestern in CNN. „Das gibt ihnen eine Auswahl beim lokalen Telefonanbieter.“

MediaOne hatte eigentlich ein Angebot einer anderen Firma, Comcast, vorliegen. AT&T bietet jedoch in einer Kombination aus Bargeld, Aktientausch und der Übernahme von 4,5 Milliarden Dollar Schulden 17 Prozent mehr als der Konkurrent. Wenn Comcast nicht nachlegen kann, dürften die Aktionäre von MediaOne das Angebot kaum ablehnen – auch wenn der Käufer schon angekündigt hat, er werde „nichtstrategische Geschäftsteile“ von MediaOne im Wert von etwa 20 Milliarden Dollar gleich wieder losschlagen. Das kann zwar Arbeitsplätze kosten, stört aber den zufriedenen Aktionär weniger. Erst 1998 hatte AT&T für etwa 100 Milliarden Mark den Kabelnetzbesitzer Tele-Communications Incorporated (TCI) erworben. Mit MediaOne wäre der Fernverbindungsriese dann mit 26,5 Millionen angeschlossenen Haushalten der größte Kabelnetzversorger der USA.

AT&T war seit 1984 auf den überregionalen und internationalen Telefon- und Datenverkehr der USA beschränkt. Vorher war es die Konzernmutter der sieben Bell-Telefongesellschaften, die in den USA den regionalen und lokalen Telefonverkehr abwickelten. Die US-Regierung erzwang damals eine Aufteilung von Fern- und Regionaltelefonkonzernen, um die Macht zu beschränken.

Inzwischen sind jedoch diverse große Mitbewerber auf dem Datenübertragungsmarkt aufgetaucht. Auch hat das Internet seinen Siegeszug angetreten. Daher hat die US-Wettbewerbsbehörde de facto wieder eine Verknüpfung von Fern- und Lokaltelefoniererei zugelassen. Seitdem versucht AT&T, wieder im lokalen Markt Fuß zu fassen. Denn nur wer den direkten Zugang zu den Kunden hat – so das Kalkül derzeit in der Branche –, kann richtig absahnen, wenn dereinst jeder User sein Leben nur noch über den Bildschirm regelt. Dann werden wesentlich größere Datenmengen als jetzt übertragen und damit evtl. wesentlich höhere Gebühren fällig.

Zunächst versuchte der Riese aus New York City mit den ehemaligen Bell-Töchtern ins Geschäft zu kommen. Die jedoch gaben sich sehr zugeknöpft. Und selbst zu jedem Haushalt ein Kabel zu legen, dauert sehr lange und kostet viele, viele Milliarden Dollar. So hat sich AT&T eben auf den Kauf von Firmen mit einem eigenen Kabelnetz verlegt. Über die Kabel können als angenehmer Nebeneffekt auch mehr Daten übertragen werden als über die herkömmlichen Telefonkupferleitungen.

Mit dem Kauf von MediaOne hat AT&T ungefähr wieder den Umsatz erreicht, den vor der Auftrennung 1984 der gesamte Bell-Konzern hatte – ein Zeichen für den rasch wachsenden Umsatz mit Telefon und Computer: Der globale Telekommunikationsmarkt wird derzeit auf etwa 650 Milliarden Dollar im Jahr geschätzt. Laut Weltbank und Branchenbeobachtern lag der Anteil Nordamerikas daran 1997 bei 37 Prozent, der von Europa bei 35. Die US-Konzerne sind jedoch wesentlich schlagkräftiger als die meisten ihrer europäischen Konkurrenten, weil ihr Markt weniger aufgesplittert ist. Europa-übergreifende Telefonfirmen gibt es praktisch keine. Selbst wenn die Allianz Deutsche Telekom/Telecom Italia Wirklichkeit wird, deckt sie schließlich nur einen kleinen Teil Europas ab.

Reiner Metzger

Kommentar Seite 12