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Abbey was here

■ Milder Blick zurück auf den Zorn: Die große Abbey Lincoln gastierte in der Fabrik - der Höhepunkt des ausklingenden 23. Jazzfestivals, dessen neue Strategie nicht wirklich aufgegangen ist Von Christian Buß

bbey weint. Sie hockt auf einem Stuhl, hält sich dabei an dem Piano ihres jungen Kollegen fest, und ihr Blick scheint mit den Akkorden in eine andere Welt zu fließen. Dann steht Abbey auf, wischt die Tränen ab, nimmt das Mikro in die Hand und singt von dieser anderen Welt, von grausamer Liebe und süßem Schmerz. Was bleibt, ist ein Lächeln. Denn der Gesang kündet vom Sieg des Herzens, und Abbey singt mit ihren 68 Jahren machtvoller denn je – und live noch machtvoller als auf ihren durchweg guten Alben. Wir erleben die Renaissance einer Künstlerin, die in der schwarzen Community zwar immer eine zentrale Rolle gespielt hat, aber ansonsten wenig Anerkennung fand. Und wenn auch sonst nicht ganz klar ist, wozu das 23. Jazzfestival in der Fabrik gut sein sollte, hat es doch dazu beigetragen, daß der Frau endlich die Ehre zukommt, die ihr schon lange gebührt – die der größten lebenden Jazz-Sängerin.

Gleichzeitig verdeutlicht der Auftritt von Abbey Lincoln aber die ansonsten ins Leere laufende Strategie einer Veranstaltung, bei der bewußt mit klassischem Jazz gegeizt wurde – die ihren einzigen denkwürdigen Abend aber eben diesem verdankt. Weil man in Hamburg mit reinem Jazz angeblich keine Halle mehr füllen könne, wurden beim diesjährigen Happening, das gestern abend mit Nigel Kennedy zu Ende ging (ausführliche Kritik morgen), Avantgarde und Ethno-Mutationen eingemeidet. Doch ob Les Tambours Du Bronx oder Salif Keita – eingebunden ins Festival zogen diese Künstler alle weniger Publikum als bei Gastspielen, die sie in vorherigen Jahren alleine absolviert hatten. Was vielleicht auch an den - durchs üppige Programm - legitimerweise höheren Eintrittspreisen lag.

Auch bei einem relativ großen Namen wie John Cale war die Fabrik am Freitag eher moderat gefüllt. Der sportive ältere Herr, der einst die moderne Klassik mit dem Rock'n'Roll versöhnt hatte, spielte nur eine Stunde. Einen Set, der sich aus bekannten Versatzstücken aus 40 Jahren Grenzgang zusammensetzte: Da fand das atonal ausfransende „Heartbreak Hotel“ genauso Platz wie die Kammerpop-Klassiker von Paris 1919. John Cale arbeitet sich mit Anstand an der eigenen Geschichte ab, er funktioniert geradezu als Selbstvergewisserungsmaschine des eigenen Schaffens. Routiniert, aber nicht ohne Leidenschaft. So einer hält es dann auch nicht für nötig, eine Zugabe zu spielen. Exzess war bei John Cale auch immer eine Sache der Kontrolle.

Ganz anders anschließend die Synthie-Schlunze Klaus Schulze und Pete Namlock. Avantgarde à la 1975, mensch war das gemütlich. Aufgeputzt mit aktueller Elektronik. „Wir lassen uns mal überraschen“, leierte Schulze noch zur Begrüßung, und dann popelte er selbstvergessen an Sinus-Generatoren und anderen Hebeln rum, während Namlock per Mausklick Dub-Schleifen aktivierte. Das historische Verdienst der beiden ist unbestritten, ihr Auftritt war ein Greuel.

Blieb also nur noch der mit Jazz prall gefüllte Sonnabend. Der ging erstmal gediegen los: Das Kyle Eastwood Quintet ist eine Art Gymnasiasten-Verein, der die wichtigen Werke des modernen Jazz runterbeten kann wie Streber Matheformeln. Schön, schön, setzen. Die einzige interessante Frage, die da aufgeworfen wurde, ist die, weshalb Kyle zugleich Gürtel und Hosenträger trug – übertriebenes Sicherheitsdenken? Die Auswahl von Hancocks „Cantaloop Island“ als Zugabe immerhin spricht dafür.

Thomasz Stanko ist doppelt so alt und trotzdem besser gekleidet. Rotes Käppi und Goldkettchen trug der Pole, der demonstrierte, daß Jazz auch etwas mit Style zu tun haben kann. Auch war es schön anzusehen, wie er seine Trompete warf und wirbelte, während seine Begleiter den rhythmischen Druck anzogen. Richtig virtuos wurde es dann gegen Mitternacht, als Jacky Terrasson mit seinem Trio loslegte. Dessen Musik ist angelegt wie die Bilder des Suprematismus: abstrakt und von rhythmischer Zwangsläufigkeit. Jeder Ton ist hier im vorherigen angelegt. Auch wenn Stücke mal als Balladen beginnen, um unter den fliegenden Armen des jungen Meisters im atonalen Mahlstrom zu enden. Hier war, anders als bei Kyle und Co., kein Platz für Nostalgie.

Eben wie bei Abbey Lincoln, die zuvor aufgetreten war. Die hätte zwar guten Gewissens ein Dutzend Klassiker aus ihrer Geschichte zusammenklauben können, beschränkte sich jedoch nach einem inspirierten Free-Jazz-Radau ihrer jungen Begleiter auf die eigenen Songs ihres neuen Albums – die wiederum die eigene Geschichte unter die Lupe nehmen. Ein Blick zurück auf den Zorn und die Verzweiflung. Ein Blick zurück aber, so milde wie das Lächeln der Abbey Lincoln. Jawohl: ein Sieg des Herzens.

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