Wenn Kinderträume wahr werden

■ Extreme-Autoverschrotting: Die Stuntmen- und Bigfoot-Truppe „Les Aranis-Klaas“ suchte Bremen heim

ch stehe im Halbschlaf auf der Bürgerweide und ich habe einen Traum: Es ist Sonntag. Meine Mama setzt mich in die Badewanne und schrubbt mich, bis meine Haut rosig leuchtet. Dann hilft sie mir in meinen Matrosenanzug. Papa steht vor dem Spiegel und rasiert sich. Wir verlassen gemeinsam das Haus und steigen in unseren VW 1600. Wir fahren in die große Stadt. Bald sehe ich das bunte Zelt auf der Bürgerweide leuchten. Ich bin aufgeregt. An der Kasse stehen viele Leute. Es dauert endlos, bis wir endlich auf den Holzbänken unter der bunten Zeltkuppel sitzen. Ich sehe Trapeznummern und Ponydressuren und die Clowns. In der Pause schaue ich mir mit Mama und Papa die Löwen und die Elefanten an. Papa kauft mir für einen Groschen eine große Portion Zuckerwatte – „ZERFETZEN, ZERQUETSCHEN, VERNICHTEN, ZERMALMEN, VERSCHROTTEN – GANZ IM GEIST DER ZEIT!!!“ brüllt die Stimme aus den Lautsprechern, ein Monster-Truck brettert über VW 1600, Ford Granada & Fiesta, Opel Kadett & Rekord, Scheiben splittern, Antennen knicken, die Meute johlt, am Heck des 550-PS-Allradmonstrums weht das star-spangled banner, darunter der Schriftzug God bless our Nation, wie durch einen Schleier von Zuckerwatte höre ich eine verflossene Liebe säuseln: „This is not America, shalalalala ...“ – vor mir stehen Kinder, Kinder sitzen auf der Metallabsperrung, auf den Schultern ihrer Eltern, auf den Bäumen im nahen Bürgerpark, überall Kinder: Große, aufmerksame Kinderaugen betrachten die Verwüstung, die ein mutierter Ford F 350 unter deutschen Mittelklassewagen anrichtet; ich reibe mir die Augen, das hier schimpft sich Realität?

„ZERFETZEN, ZERQUETSCHEN, VERNICHTEN, ZERMALMEN, VERSCHROTTEN!!!“ psalmodiert die Stimme, und zwischendrin: „HIER KÖNNEN SIE FÜR DEN STRASSENVERKEHR LERNEN: ANSCHNALLEN, DEFENSIV FAHREN UND DEN SCHULTERBLICK NICHT VERGESSEN, SPORTSFREUNDE!!!“ So komm doch, du süßer Traum, süß wie Zuckerwatte, gib mir meine tägliche Realitätsflucht! – Ach, es hilft nichts, ich bin wach wie ein Fluglotse auf Benzedrin, jetzt springt der Fahrer aus seinem Master of Disaster, „APPLAUS IST DES KÜNSTLERS BROT“, bemerkt die Stimme dazu, klatsch klatsch, und wirklich: Da liegt ein Kunstwerk, wie es ein Rollkragenpulliträger nicht besser hätte machen können: fünf platte Wracks mit zwanzig platten Reifen, symbolträchtig wie ein untergehendes Schiff.

Aber hey, es kommt noch besser: Ein gelber Panzer mit Batman-Emblem rasselt heran (Musik: „Also sprach Zarathustra“) und entpuppt sich doch tatsächlich, wie in der Pressemitteilung angedroht, zu einem feuerspuckenden, um sich ballernden Kampfroboter – und er spricht auch noch im wahrsten Sinne des Wortes für sich selbst: „HALLO LIEBE KINDER ICH BIN BAT-TRON ICH BIN HIERHER GEKOMMEN UM EURE TRÄUME ZU VERTEIDIGEN UM EUCH ZU ZEIGEN DASS ALLES MÖGLICH IST WENN IHR ES NUR WOLLT UND WENN SICH DIE KRÄFTE DES BÖSEN IN EUREN WEG STELLEN BIN ICH IMMER BEI EUCH ALSO SAGT NEIN ZU DROGEN KEINE MACHT DEN DROGEN!“ – sprachs, klappte sich zusammen und bretterte über die ohnehin schon matschepampenen Autoflundern. Irritiert ich bin so Syntax durcheinander und alles. Das doch nicht wahr sein dürfen! Ist aber. Prima, ich denken, demnächst öffentlich Geschirr kaputtschmeißen von wegen Rettung der Wale. Message für Kind klar sein: Mit schwerem Kampfgefährt Personenkraftwagen einebnen in Ordnung sein – aber bitteschön ohne Drogen machen tun! Damit du dich am nächsten Tag dran erinnern können wenigstens!

Dann ich plötzlich von Schreck erholt, sogar ganz klar im Verstand. Und ich habe eine garstige Vision: Die Erde ist verbrannt, eine endlose Steinwüste, der Himmel schwarz wie der Anus Luzifers; vereinzelt stehen ausgemergelte, in Lumpen gehüllte Gestalten herum, mehr Tier als Mensch, die sich an Stapeln von brennenden Autoreifen wärmen. Durch diese Ödnis pflügen Panzer, kriechen wie hungrige Insekten über das vernarbte Antlitz des Planeten, Kampfpanzer, Schützenpanzer, Truppentransporter, Selbstfahrlafetten, Flakpanzer, alles, was Ketten hat, wühlt sich durch den unfruchtbaren Staub. Die dieselfressenden Endzeitmonster werden von Kindern gesteuert, die ihre ausdruckslosen Gesichter an die Periskope pressen; ihre glasigen, blutunterlaufenen Augen suchen nach Plattwalzbarem. Aber alles, was plattgewalzt werden könnte, ist bereits plattgewalzt. Außer dem sonoren Brüllen der Panzermotoren gibt es keine Geräusche mehr, keine Vögel, kein Waldesrauschen ... doch ... aus der Ferne, fast unwirklich, wehen Fetzen von Musik heran ... ein krächzendes Kofferradio ... gebt den Kindern das Kommando, sie berechnen nicht, was sie tun ... die Welt gehört in Kinderhände, dem Trübsinn ein Ende ... wir werden in Grund und Boden gewalzt ... Kinder an die Macht! Tim Ingold