Bis morgen!

„Männer und Frauen“ und andere Engel: In Hannover wurde das neue Stück von Moritz Rinke uraufgeführt  ■   Von Petra Kohse

Im Anfang war der „Faust“. Nein, im Anfang war das Goethejahr. Aber am Ende wurde das Drama dann doch recht schnell fertig, wiegt im Kuvert 57 Gramm und umfaßt acht Haupt- und sieben weitere Figuren sowie zwei Stimmen. Im Auftrag des Staatstheaters Hannover hat der Berliner Autor Moritz Rinke (Jahrgang 1967) ein Stück geschrieben und die Hannoveraner Öffentlichkeit in der theatereigenen Zeitschrift in sieben Kolumnen über den Fortgang auf dem Laufenden gehalten. „Auf dem Weg zu Stück“ – selten war subventionierte Arbeit so transparent wie diesmal.

Das Stück nun (Rinkes drittes) heißt „Männer und Frauen“, weil sowieso alle Theatertexte (außer denen von Brecht) von Männern und Frauen handelten und das Problemfeld damit gleich umrissen sei. Eigentlich aber geht es um den Gehirnforscher Martin Goldmann, der nicht nur „Denken ohne Hirn“ herstellen will, sondern auch „Fühlen ohne Mensch“, was sofort an „Backen ohne Mehl“ und „Fikken ohne Frau“ erinnert, wie die Devisen der Vergeblichkeit in Berlin seit Christoph Marthalers „Murx ihn“-Inszenierung lauten.

Tatsächlich sind Goldmanns Forschungen so vergeblich wie seine Versuche in Sachen Liebe, weswegen es noch eigentlicher darum geht, daß ein Engel mit Namen Heinrich auf die Erde kommt, um ihm im höchsten Auftrag die Richtige zuzuführen. Das natürlich klappt weder sofort noch später, der „Faust“-Digest führt flott und stationsweise nicht in die Erlösung, sondern in die Katastrophe: die Realität. Am Ende hat keiner irgendwen gefunden, und Heinrich muß auf der Erde bleiben, nicht als erster übrigens.

Hier endlich wäre das eigentlichste Thema des Stückes gefunden. Schon in seinem zweiten Drama „Der Mann, der noch keiner Frau Blöße entdeckte“, gab es bei Rinke einen Fremden, der die Jetztzeit mit all der Naivität bloßstellt, mit der er sich daranmacht, sie zu erforschen. Dort Helmbrecht, der Germane, der in eine Theaterprobe platzt und sich unglücklich in eine Schauspielerin verliebt. Hier Heinrich, der Engel, der in einer aus Theaterzitaten destillierten Situation eine Mission erfüllen will und selbst auf die Liebe verzichtet, was zu umfassendem Scheitern führt. Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.

Seltsam. Darüber nachdenkend, erscheint einem dieses „Männer und Frauen“-Stück als melancholische Geschichte mit tragischen Momenten. Lesend fühlte es sich indessen eher als amüsante, aber oft auch geschwätzige Komödie an. Was vielleicht an der parvenühaften Ausarbeitung des Themas liegt. Der Gehirnforscher, der wie ein Windsurfer daherkommt, plappert Expertendada und lechzt nach immer neuen Frauen, mit denen er dann nichts anfangen kann. Diese erscheinen – ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten – als typenkundliche Abziehbildchen (karrieristische Schwäbin, selbsterfahrene Berlinerin etc.) und stülpen sich über den Forscher, der bald am Horizont verschwunden ist. Weitere, durchaus poetische Figuren kreuzen die Szene. Eine Verlorene der Liebe etwa. Aber zu einer wirklichen Begegnung kommt es nur einmal, einige Sätze lang, zwischen dem Heinrichengel und einer Jenny, die sich der Forscher als letzte ausgesucht hat.

In der Inszenierung des Regisseurs Erich Sidler (Jahrgang 1965) ist dies auch eine schöne Szene: Heinrich, gespielt von Thomas Schmauser, und Jenny, gespielt von Nicola Kirsch, wie sie im marokkanischen Sand träumen, sie seien Lawrence von Arabien und Braut. Schöner aber noch, vielleicht das Schönste an dieser Arbeit überhaupt, ist die Szene am Anfang, in der der Engel auf die Erde stürzt. Barfuß im altmodischen schwarzen Anzug, mit einem zerrupften Flügelpaar in Herzform auf dem Rücken und noch einigen Federn im Haar.

Und wie er dann folgerichtig mit der Schwerkraft kämpft und seine Füße mühsam patschend voreinander setzt. Wie er von ganz weither den Atem schöpft, um seinen Mund zu dem zu überreden, was „sprechen“ heißt. Verzweifelt irgendwie, nervös auch, widerwillig ganz sicher, doch tapfer sich darein schickend, daß er nun einmal geschickt wurde.

Thomas Schmauser, ein ganz junger Schauspieler, spielt das Stück, das Moritz Rinke vielleicht gemeint hat, als er jenes schrieb, das Sidler ansonsten recht ängstlich und kraftlos inszenierte. Nie ein Durcheinander wagend, sondern immer beim Nacheinander bleibend, von der schieren Szenenfolge schon erschöpft. Auftritt, Pointe, Abgang. So gibt es hübsche Nummern, aber auch albern aufgesagte oder sonstwie angeschaffte. Und Ralf Lichtenberg spielt den falschen Forscher tatsächlich als echten Surfer. Sportiv federnd, mit vier Gesichtsausdrücken und stabiler Tonlage.

Das Publikum aber, das im Hannoveraner Ballhof vor der fast leeren Spielfläche mit einer Altbautür nach links und einem langen Steg nach vorn saß (Bühne: Dirk Becker), freute sich am Ende trotzdem herzlich. Sicher auch als Dank an einen Autor, der seinen „Weg zum Stück“ mitgeteilt und von der „ständigen Suche“ erzählt hatte, „die man für das Schreiben auf sich nehmen muß, von der Angst, etwas nicht zu finden, und dem Glück eines Schreibtages, daß es eine Figur plötzlich doch gibt und ich ihr ,gute Nacht‘ sagen kann und ,bis morgen‘.“