■ Wie lange kann sich die Türkei ihren Nationalismus leisten?
: Love it or leave it

Das Ergebnis der türkischen Parlamentswahlen vom 18. April ist eindeutig: Die Wähler haben sich für den starken Staat und die Erhaltung des Status quo entschieden. Sowohl die des aufgeklärteren, reicheren Westens mit ihremVotum für Bülent Ecevit als auch die des erzkonservativen Anatoliens, die Devlet Bahceli und seiner nationalistischen Bewegungspartei MHP einen triumphalen Wahlerfolg bereitet haben.

Schlechte Zeiten brechen dagegen zunächst für Demokraten an, die die Übermacht des Staates kritisieren, nicht mehr Untertan, sondern freie Bürger sein wollen, die zwar den PKK-Terror verurteilen, aber von einer freidlichen Lösung der Kurdenfrage träumen. Es sieht schlecht aus für diejenigen, die zwar gegen den Gottesstaat sind, die aber die Islamisten demokratisch am Wettbewerb um die Macht teilhaben lassen wollen, weil sie auch die Chance haben müssen, sich in der Demokratie weiterzuentwickeln.

Mit Bülent Ecevit und Devlet Bahceli stehen nun zwei Männer im Zentrum der Macht, die aus unterschiedlichen Schulen kommen – der eine von links, der andere von rechts außen. Jetzt sollen sie sich in der Mitte treffen, um das Land vier Jahre lang zu regieren. So wollen es jedenfalls die Mächtigen – das Militär. Dabei wissen sie: Ecevit ist ein Anachronismus, und sein Partner Devlet Bahceli ist ein Wolf, dem der Schafspelz nicht steht.

Bülent Ecevit vertritt einen linkskemalistischen Kurs. Er ist im Grunde seines Herzens ein Sozialist, wenn es um Privatisierung von Staatsbetrieben geht, um Verträge mit der IWF oder Anreize für das Fremdkapital in der einheimischen Wirtschaft. Bloß: Er kann das nicht umsetzen. Ecevit ist zugleich ein Säkularist, der trotz seiner Erfahrungen nach dem Putsch von 1980 einen Militäreingriff gegen die Islamisten begrüßen würde. In der Außenpolitik genauso wie in der Wirtschaft würde er am liebsten „völlig unabhängig“ sein, aber auch das ist nicht umsetzbar. Gerade jetzt, wo die Türkei von den USA zu einer gefälligen Regionalmacht aufgebaut werden soll, bleibt Ecevits Nationalismus reine Rhetorik. Die Armee regiert die Türkei mit, und die Chefsachen sind nicht auf außenpolitischen Fragen wie das Zypernproblem oder die Verhinderung eines kurdischen Staates im Nordirak begrenzt. Ihre Einmischungen reichen von Meinungs- und Redefreiheit bis hin zu wirtschaftlichen Fragen. Die Staatspolitik ist von Regierungen unabhängig gemacht worden.

Und die Nationalistische Bewegungspartei MHP mit seinem Vorsitzenden Bahceli steht für die Haltung: Es gibt keine Kritiker eines unzeitgemäßen Laizismus – es gibt nur Fundamentalisten. Es gibt keine Kurdenfrage, sondern nur Separatismus und Terror. Es gibt eher Verantwortung als Freiheit. Es gibt keine liberale Staatskritiker, sondern nur Staatsfeinde. Ja, es gibt eigentlich nur „uns“ und „unsere Feinde“. Die faschistoide Gesinnung der MHP hat sich seit ihrer Gründung in den 60ern nicht verändert, auch wenn sie sich gemäßigt und modern geben möchte. Interessant ist, daß ehemalige Wähler der Islamisten diesmal der MHP ihre Stimme gaben, weil sie den Kampf der Fazilet-Partei gegen die Armee nicht billigten.

Vor einigen Jahren prägten die Grauen Wölfe den Spruch: „Ya sev, ya terket“ – „Love it or leave it.“ Wem es nicht gefällt, soll doch das Land verlassen. Wie lange kann die Türkei sich diesen Nationalismus noch leisten? Die Kurdenfrage bedarf neuer Maßnahmen, weil mit den alten der Terror nicht verhindert werden kann. Auch die Islamisten werden nicht über Nacht verschwinden. Der nächste Eklat wird bald bei der Parlamentseröffnung stattfinden, wenn die kopftuchtragende Abgeordnete der Fazilet in den Plenarsaal will. Das islamische Kapital wird sich weiter mit den vom Staat geschützten Monopolen um Sonnenplätze in der Wirtschaft zanken, und der Handel mit den Nahoststaaten oder Zentralasien kann nicht den Handel mit der EU ersetzen. Mit der EU wird man sich wieder an den Tisch setzen und diskutieren müssen. Die Nörgler und Träumer werden bleiben und so lange weiternörgeln und weiterträumen, bis sich auch hier Demokratie und Freiheit durchsetzen. Dilek Zaptçioglu