Neuer Streit um die Spätabtreibungen

■ Bei geschädigten Embryos ist ein Abort bis kurz vor der Geburt möglich. CDU-Politiker würden den Paragraphen 218 gerne ändern

Bonn (taz) – Es sollte ein Wunschkind sein. Dann riet der Arzt zur Fruchtwasseruntersuchung. Diagnose: Trisomie 21, Down-Syndrom. Die Eltern entschieden sich für die Abtreibung, in der 28. Schwangerschaftswoche.

Wird bei einer Pränataluntersuchung festgestellt, daß das Kind möglicherweise behindert ist, entscheiden sich 90 Prozent der Eltern für eine Abtreibung. Down-Syndrom und offener Rücken gehören zu den häufigsten Abtreibungsgründen in der späten Schwangerschaft. Dabei spielt es kaum eine Rolle, wann die Fehlentwicklung festgestellt wurde. Bis kurz vor der Geburt ist eine Abtreibung rechtlich zulässig, wenn nach Paragraph 218a eine „schwerwiegende Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“ zu befürchten ist.

Die Union sieht in diesem Gesetz einen „Aufruf zu Selektion“. Hubert Hüppe, CDU-Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Initiativgruppe „Schutz des menschlichen Lebens“ in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und 90 weitere Abgeordnete seiner Partei wollen deshalb Spätabtreibungen grundsätzlich unter Strafe stellen. In der Praxis gehe es nicht mehr in erster Linie um das Wohl der Schwangeren. Das ließe sich rechtlich auch gar nicht nachprüfen, sagt Hüppe. Die Eltern wollen das perfekte Kind. Ist es das nicht, liege der Abort nahe. „Deutschland ist dabei, die Schwelle zur Früheuthanasie Behinderter zu überschreiten“, befürchtet Hüppe.

Der Paragraph 218 ist nach jahrelanger Diskussion 1994 vom Bundestag mit fraktionsübergreifender Mehrheit beschlossen worden. Damals waren die Behindertenverbände froh, daß damit auch die „eugenische Indikation“ der Vergangenheit angehörte. Sie erlaubte die Abtreibung behinderter Kinder – allerdings nur bis zur 22. Schwangerschaftswoche.

Doch das Problem wurde nach Ansicht von Katrin Merz vom „Netzwerk behinderter Frauen“ mit der Neuregelung des §218 nicht aus der Welt geschafft. Im Gegenteil: „Die neue Rechtslage hat die Möglichkeiten der Selektion noch ausgeweitet.“ Die eugenische Indikation habe sich in der Praxis unter die medizinische Indikation geschoben. Merz befürwortet den CDU-Vorstoß, Spätabtreibung zu einem Straftatbestand zu machen.

Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin (SPD) will die Frauen nicht kriminalisieren. Das Strafrecht sei ungeeignet, dieses Problem zu bewältigen. Dies sollten die Ärzte in ihren Standesrichtlinien regeln. Ähnlich urteilt auch Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne): Sie wolle keine neue Diskussion um den Paragraphen 218, ließ sie ausrichten. Die Bundesärztekammer hingegen sperrt sich gegen eine Änderung der Standesregeln.

Katrin Merz wäre froh, wenn die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik eingeschränkt würden. Mit Fruchtwasser- und Mutterkuchenuntersuchungen können genetische Abweichungen früher festgestellt werden, bevor der Embryo mit herkömmlichen Mitteln, wie Ultraschall, medizinisch beobachtet werden könne. Auf der einen Seite, so Frank Louwen, Leiter der Pränataldiagnostik der Frauenklinik der Universität Münster, könnten viele Krankheiten so früh erkannt und oft erfolgreich behandelt werden. Andererseits aber würden die Eltern vor schwere Entscheidungen gestellt, wenn der Embryo schwere Fehlbildungen aufweist. Auch wenn sich herausstelle, daß der Embryo nicht lebensfähig wäre, entschieden sich viele Eltern, das Kind auszutragen. „Manchmal ist dann der Abschied vom Idealkind leichter, als wenn sie es abtreiben ließen.“

„Früher war es einfacher“, sagt er, „da konnten wir nach der 22. Woche sagen, es geht nicht.“ Dahin will Louwen nicht zurück. Die Eltern sollen in ihrer Entscheidung frei bleiben, auch wenn es schwer sei. Den Paragraphen 218 hält er dennoch für problematisch. So sei nicht nachprüfbar, ob die Eltern den Belastungen durch ein behindertes Kind nicht gewachsen seien. Strafe lehnt er ab. Louwen fordert die Wiedereinführung der embryopathischen Indikation, gekoppelt an eine umfassende Beratung der Schwangeren. Dabei soll sie auch über die Möglichkeiten und Grenzen der Pränataldiagnostik aufgeklärt werden.

Der Politiker Hubert Hüppe möchte die Pränataldiagnostik am liebsten ganz abschaffen. Erst die neuen Möglichkeiten trieben Eltern in einen Entscheidungskonflikt, den es so noch nie gegeben habe. Er befürchtet, eine Auslese könne gesellschaftlich wieder akzeptiert werden. „Die Geschichte der Pränataldiagnostik ist eine Geschichte der Selektion“, sagt er. Das Abnorme werde nicht geduldet. Mediziner Louwen überlegt zwar, ob die pränatale Diagnostik nicht eingeschränkt werden könnte, gibt aber zu bedenken: „Wer sie abschaffen will, nimmt gleichzeitig in Kauf, daß Kinder sterben, die hätten gerettet werden können.“

Thorsten Denkler