Bewährte Kader werden kurzgehalten

Rentner, die in der DDR privilegiert waren, erhalten heute weniger Pension. Ihnen wurde die Rente kurzerhand gekappt. Ist das Rechtens? Das Bundesverfassungsgericht entscheidet heute    ■ Aus Karlsruhe Gudula Geuther

Für mehr als 300.000 Ost-Rentner geht es heute vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) um die Bewertung einer Lebensleistung. Die Richter verkünden anhand von neun ausgesuchten Fällen ihr Urteil darüber, ob der Umgang mit privilegierten DDR-Rentnern seit der Wende mit dem Grundgesetz übereinstimmt.

Die Rentner im Osten der Republik sind die Gewinner der Einheit. Allerdings nur die normalen Rentner. All diejenigen, die in der DDR spezielle Absicherungen bekamen oder bekommen sollten, mußten auf ihre Privilegien verzichten. Solche Sonder- und Zusatzversorgungen gab es für Feuerwehrleute wie für Parteikader, für Ballettmitglieder wie für Soldaten. Statt der mickrigen 590 Ost-Mark des Durchschnittsrentners (1990) sicherten sie ihren Angehörigen 60 bis 80 Prozent des letzten Monatsgehalts, in der beamtenähnlichen Sonderversorgung sogar 90 Prozent. Noch die Volkskammer beschloß, diese Systeme in die gesetzliche Altersverorgung zu überführen – und damit praktisch nach und nach zu streichen. Anders sei die Einigung nicht finanzierbar gewesen, hieß es. Überdies wurde die Rente kurzerhand gekappt. Auch als das Bundessozialgericht sich weigerte, politisch Unbelasteten im Höchstfall 2.010 Mark zuzusprechen, blieb es bei der gesetzlichen Begrenzung – wenn auch diesmal von 2.700 Mark. Die Kläger berufen sich auf die Garantien des deutsch-deutschen Einigungsvertrages. Der Vertrag legte fest, daß keiner, der Altersgeld bezog oder kurz davor stand, im neuen Staat weniger bekommen sollte. Die Kläger sehen in dieser sogenannten Systementscheidung einen Verstoß gegen ihr Eigentumsrecht und die Grundsätze des Rechtsstaats. Vor allem Professoren glauben, daß die Anwartschaften den geringen Lohn zu Arbeitszeiten ausgleichen sollten. In der mündlichen Verhandlung im vergangenen Juli bezweifelte aber ein Experte der Bundesbank, daß die Zusagen am Ende mehr als leere Versprechungen waren – die DDR hätte die Beträge ohnehin nicht auszahlen können.

Noch härter gingen die letzte Volkskammer und später der Bundestag mit den Angehörigen sogenannter „systemnaher Berufe“ um, vor allem im Staatsapparat. Die kurioseste Regelung galt für Spitzeneinkommen: Je mehr ein Staatsdiener verdiente, desto geringer sollte das Gehalt sein, dasbei der Rentenberechnung angesetzt wurde. Für die Kläger ist das verfassungswidriges „Rentenstrafrecht“. Ohne eine Möglichkeit zur Verteidigung würden sie pauschal verurteilt. Allerdings stand die Garantie des Einigungsvertrages von Anfang an unter Vorbehalten, die höhere Renten später zur willkommenen Manövriermasse zu machen schienen: „Ungerechtfertigte“ und „überhöhte Leistungen“ sollte es nicht geben, auch keine Zahlungen bei Verstößen „gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit“.

Bis heute gilt die Kappungsgrenze für die Spitzenverdiener unter den Systemnahen – und in wesentlich verschärfter Form für die Stasi: Das Einkommen wird mit 70 Prozent des DDR-Durchschnitts veranschlagt, ausgezahlt werden höchstens 802 Mark.

Die vier Sammelurteile, die heute verkündet werden, sind nur die Spitze des Eisbergs in der Aufarbeitung der Ost-Renten. Allein beim Bundesverfassungsgericht liegen über hundert Verfassungsbeschwerden und Richtervorlagen. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) hat mehr als 13.000 Verfahren in Erwartung des Karlsruher Spruchs ausgesetzt, 5.000 vor Gerichten kommen dazu. Der BfA-Praxis entspräche es außerdem, ein Urteil auch für die Rentner zu berücksichtigen, die sich nicht gegen ihre Rentenbescheide gewehrt haben. Allein für die Vergangenheit geht es dabei um 500 Millionen Mark. Sollte die Systementscheidung selbst fallen, also die Eingliederung der Spezialrenten in die BfA, lägen die Kosten vermutlich im Milliardenbereich.