Pfeffersäcke schlemmen gern – nur Bezahlen schmeckt ihnen nicht

■ 10.000 besuchen das Lübecker Slow-Food-Festival : Drei kulinarische Tage in der Hansestadt werden überschattet vom Streit ums liebe Geld

Lübeck (taz) – Der italienische Schokoladenstand im Keller des historischen Lübecker Hoghehuses hatte magische Kräfte. Niemand konnte daran vorbeilaufen, ohne mit entrücktem Blick einen jener schwarzen Versucherle reinzuschieben, die einen ohne Umwege in hochwonnigliche Umlaufbahnen befördern. So schön kann Schokolade sein, echte, vor Kakao berstende Schokolade. Selbst hartleibige Lübecker Pfeffersäcke lächelten milde. Sonst pflegen die Bewohner der Hansestadt ein eher gebrochenes Verhältnis zum großen kulinarischen Treffen in ihren Stadtmauern. Das Foodfestival „Lübeck – ein Genuß“ dauerte drei Tage und endete am Sonntag abend.

Immer wieder gab es heftige Wortwechsel an den Eintrittspforten des Slow-Food-Marktplatzes. Die geforderten 15 Mark Eintritt trieben den Puls des gemeinen Hanseaten schnell auf Kolibrifrequenz. Selbst unzählige, großzügig verteilte Gratisproben von 90 handwerklich arbeitenden Erzeugern aus Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich vermochten den Braß mancher Einheimischer nicht zu dämpfen. Beim Geldbeutel hört der Spaß sehr schnell auf. Fressen ja, bezahlen nein! Das Ende war noch halbwegs versöhnlich: Etwa 10.000 Besucher hatten drei Tage lang die bisher ambitionierteste kulinarische Veranstaltung Deutschlands erlebt. Und zumindest am Sonntag, als Slow Food den Eintrittspreis auf fünf Mark gesenkt hatte, strömten die Massen an die Wein- und Käsestände, löffelten Löwenzahnhonig, probierten Schinken vom aussterbenden Angler-Sattelschwein und träufelten sich per Pipette Apfelbalsam auf den Handrücken. Fast durchweg ausverkauft waren die rund 20 Geschmacksseminare. Andächtig saßen Testesser vor ihren Tellerchen mit Weinbergschnecken in allen Variationen. Sie nippten an fünf verschiedenen Dessertweinen aus dem Sauternes, probierten Mettwürste mit Schnäppsken oder naschten slowenische Buchweizendesserts.

Die Veranstaltung hat die Grenzen deutscher und erst recht norddeutscher Leidenschaften für Genuß und kulinarische Kultur aufgezeigt. Zwischen epidemisch auftretenden Schnäppchenjägern und bewußten, genußorientierten Verbrauchern liegt ein tiefer Graben. Und die zweite Spezies ist in Deutschland, allen heilsamen mediterranen Einflüssen zum Trotz, noch immer eine kleine, radikale Minderheit.

Andrea Arcais, Vorstandsmitglied von Slow Food, wertete das Festival trotz des finanziellen Einbruchs als politischen Erfolg. Das Programm und die Qualität des Marktes seien beachtlich gewesen. 80 akkreditierte Journalisten und viele Fernsehteams hätten die Veranstaltung auf Parteitagsniveau gehoben, „damit ist Slow Food in Deutschland sehr viel bekannter geworden“. Künftig wolle man das Festival aber nur noch alle zwei Jahre veranstalten, der organisatorische Aufwand sei für ehrenamtliche Kräfte zu groß.

Die 45 Slow-Food-Convivien (Stadtgruppen) der Bundesrepublik haben dieses Jahr zwei Arbeitsschwerpunkte festgelegt. Angeregt vom italienischen Pilotprojekt, das versuchsweise und mit Genehmigung des römischen Kulturministeriums Geschmacksunterricht an Schulen eingeführt hat, soll auch in Deutschland Geschmacksbildung für Kinder angeschoben werden. Zudem will man die „Arche“ zur Rettung aussterbender Haustierrassen, alter Äpfel-, Gemüse- und Kartoffelsorten forcieren. Manfred Kriener