■ Europa drückt sich vor dem Flüchtlingsproblem – vor allem Blair
: Keinen Fußbreit den Albanern?

Aus Feinden wurden Freunde. Hütchenspieler, Drogenhändler und Gewaltverbrecher – das war der real existierende Kosovo-Albaner noch kürzlich für viele Bürger. Eine Gefahr für die innere Sicherheit, menschlicher Müll. Verbreitete Stimmung: Zurück mit ihnen in das Kosovo! Die Folgen von Miloevics Apartheidpolitik, irgendwie waren sie seit Jahren bekannt. Aber ein Asylgrund? Die Stimmung hat sich gedreht – zum Glück. Jetzt sind Kosovo-Albaner also Opfer des größten Verbrechens Nachkriegseuropas. Die Nato hilft. Aber wohin mit den über 600.000 Vertriebenen? Wir sehen es im Fernsehen – nach Albanien, Makedonien und Montenegro. In überfüllte Lager. Zum Teil ungelitten.

Die große humanitäre Aktion für die Flüchtlinge läßt noch auf sich warten. Sicherlich, es wird gebombt, und Hilfsgüter werden geschickt. Aber Europa ist auf die bevorstehende Flüchtlingswelle nicht vorbereitet – weder logistisch noch mental. Vor allem Großbritannien unter Führung des heimlichen Nato-Chefs Tony Blair spielt eine unappetitliche Rolle. Einsatz von Bodentruppen ja – aber keinen Fußbreit den Albanern. 161 Flüchtlinge hat man bislang aufgenommen. Ansonsten vertritt (nicht nur) Blair die Ansicht, die Flüchtlinge sollten in der Region bleiben, um Miloevics Vertreibungspolitik nicht durch eine großzügige Aufahme zu rechtfertigen. Scheinheiliger geht's kaum. Denn allen dürfte klar sein, daß eine Rückführung der Flüchtlinge angesichts der „verbrannten Erde“ Jahre dauern wird und nur ein Teil von ihnen in der Armenregion Europas „geparkt“ werden kann. Viele Vertriebene werden keine Perspektive in der zerstörten Heimat sehen und sich deshalb in den goldenen Westen aufmachen.

Mit den Absichtserklärungen der europäischen Länder für die Aufnahme von ein paar tausend Flüchtlingen ist es nicht getan. Der Andrang wird das Angebot übersteigen. Deshalb braucht Europa dringend eine koordinierte Politik der gleichmäßigen Verteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedsstaaten. Ansonsten drohen die Opfer des Kosovo-Krieges schon bald zur Zielscheibe einer rassistischen Abwehrpolitik des reichen Europa zu werden, das offensichtlich noch nicht begreifen will, daß dieser Krieg auch Fragen nach der Verteilung seines Reichtums neu stellt. Vor allem England und Frankreich sind gefragt. Zu billig haben sie sich bislang aus der Verantwortung gestohlen. Unter Rot-Grün wird Deutschland nicht mehr die Rolle des EU-Flüchtlingsbeauftragten spielen. Eberhard Seidel