Ostrentner nicht mehr diskriminiert

Bundesverfassungsgericht hält derzeitige Kappung der DDR-Renten im wesentlichen für verfassungswidrig. Kader dürfen nicht bestraft werden    ■ Aus Karlsruhe Gudula Geuther

Die Kürzung hoher Ostrenten nach der Wiedervereinigung ist grundsätzlich verfassungsgemäß. Das entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gestern in vier beispielhaften Sammelurteilen, die die Grundlage für die Behandlung von etwa 330.000 jetzigen und möglicherweise mehreren Millionen zukünftigen Rentnern im Osten der Republik bilden. Dagegen sind nach dem Spruch des Ersten Senats fast alle Einzelregelungen mit dem Grundgesetz unvereinbar, mit denen die oft erheblichen Sonder- und Zusatzversorgungen ins System der Bundesrepublik überführt wurden. Nichtig sind insbesondere die Spezialregelungen, mit denen für ehemalige Angehörige des Staatsapparats und vor allem für Stasi-Mitarbeiter die Rentenzahlungen gekappt wurden. Der unter dem Stichwort „Rentenstrafrecht“ politisch umstrittene Komplex ist damit für die Zukunft erst einmal beseitigt.

Die Grundentscheidung, die das Gericht gebilligt hat, ist die Eingliederung dieser Sonder- und Zusatzversorgungen in das bundesdeutsche System der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie sicherten einem bunt gemischten Mitgliederkreis 60 bis 90 Prozent des letzten Nettogehalts. Durch die Eingliederung wurden die Renten dem Korsett der Beitragsbemessungsgrenze unterworfen und können schon deshalb nicht mehr hoch werden. Das BVerfG entschied, der Eigentumsschutz der Verfassung verlange nur, daß die Renten im Verhältnis zur tatsächlich erbrachten persönlichen Arbeitsleistung stehen. In welchem System das umgesetzt werde, könne der Gesetzgeber dagegen – im Westen wie im Osten – nach sachgerechten Kriterien neu ordnen.

Anders gestellt werden jene, die schon in der DDR hohe Renten bezogen (sog. Bestandsrentner). Ihnen garantierte der Einigungsvertrag, in Zukunft nicht weniger zu bekommen. Das wäre auch gar nicht möglich gewesen, so das BVerfG. Es stellte auch die Renten der DDR unter den Schutz des Grundgesetzes. Deshalb ist es nicht nur verfassungswidrig, daß hohe Renten kurzerhand bei 2.700 Mark gekappt wurden. Das Gericht kritisierte die Garantie des Einigungsvertrages sogar als zu vorsichtig.

Verfassungsgemäß ist sie nur, wenn die – höheren – Beträge nicht starr gewährt werden, sondern dynamisiert. Das bedeutet, daß etwa der exponierteste Kläger, der ehemalige Charité-Nierenspezialist Moritz Mebel, statt 2.700 Mark für die Vergangenheit über 4.000 Mark monatlich bekommt und diese Rente ständig steigt. Mit dieser Entscheidung tat sich der Senat schwer. Zwei Richter waren mit dieser Entscheidung nicht einverstanden.

Die Kritik am Gesetzgeber mit der wahrscheinlich größten wirtschaftlichen Tragweite bezieht sich auf die Berechnung der Renten selbst. Für die normalen Ostrenten wurden nämlich für die Festsetzung der Bezüge nur die letzten 20 Arbeitsjahre herangezogen, in denen ein Arbeitnehmer gewöhnlich am meisten verdient. Wer dagegen in einer Sonder- oder Zusatzversorgung war, dessen gesamtes Arbeitsleben sollte – wie im Westen – berücksichtigt werden. Die Folge waren niedrigere Ansprüche. Für eine solche Ungleichbehandlung gegenüber anderen Ostrentnern konnte das BVerfG keinen Grund erkennen. Hier muß ein neues Gesetz erlassen werden, das auf jeden Fall für die Zukunft alle gleich behandelt. Ob das Parlament für die Verfangenheit nur die 20.000 Personen berücksichtigt, die sich gegen ihre Rentenbescheide gewehrt haben, oder alle, bleibt ihm überlassen.

Auch der Ungleichbehandlung von „Systemnahen“ schob das Gericht einen Riegel vor. Hier galt bis 1996 die Regel: Je mehr ein Staatsdiener für seine Arbeit bekam, desto niedriger sollte seine Rente sein. Die Karlsruher Richter ließen sich nicht auf die Diskussion ein, wie mit politisch Verstrickten umzugehen sei. Sie blieben im Rentenrecht und entschieden: Zwar müßte die Bundesrepublik überhöhte Bezüge nicht mittragen. Was aber überhöht sei, könne man so pauschal nicht entscheiden. Deshalb stellte es dem Parlament frei, in einem neuen Anlauf bis zum Jahr 2001 zu versuchen, hohe Bezüge von Parteikadern, aber auch beispielsweise Richtern, die in den neuen Ländern übernommen wurden, zu kappen. Verfassungsgemäß sei das aber nur, wenn sich ein Bezug zur persönlichen Arbeitsleistung erkennen ließe. Die Formel „Je höher das Einkommen, desto weniger war die Arbeit wert“ ließe sich so nicht halten.

Dasselbe gilt für ehemalige Stasi-Mitarbeiter. Allerdings erlaubte der Senat, daß diese über einen Kamm geschoren werden. Sie hätten deshalb so behandelt werden dürfen, als hätten sie nur DDR-Schnitt verdient, obwohl es meist wesentlich mehr war. Das soll möglich sein, weil die Karlsruher Richter hier tatsächlich von Bonusbezügen für politische Willfährigkeit ausgingen.

Was aber nicht geht, ist – wie geschehen –, so zu tun, als hätten sie nur 70 Prozent des Durchschnitts erarbeitet. Tatsächlich führte das dazu, daß noch 1993 die Stasi-Renten im Schnitt unter Sozialhilfeniveau lagen, wie der Vorsitzende Richter Dieter Grimm ausführte. Mit einer echten Bewertung der persönlichen Leistung habe das nichts mehr zu tun.