Therapeuten gegen den Zyklus der Gewalt

■ Mit Diskussionen und Rollenspielen wollen amerikanische Schulen Konflikte entschärfen. Eine Erfolg dieser psychologischen Ansätze läßt sich aber nicht nachweisen

An der T. C. Williams High School setzten sich vergangene Woche zwei Mädchen, die sich am liebsten gegenseitig die Haare ausgerissen hätten, unter Aufsicht eines Mediators an einen Tisch. Nach Stunden trennten sie sich und waren miteinander versöhnt. Am Nachmittag erzählten sie niemand Geringerem als dem US-Präsidenten Bill Clinton, wie sie das gemacht hatten. „Vier Grundregeln haben wir hier“, erläutert die Vermittlerin Tamika Barbour, selbst eine Schülerin: „Keine Schimpfworte, Offenheit und harte Arbeit, um das Problem zu lösen.“ Die Vermittler werden unter SchülerInnen rekrutiert und an der Schule von einer Psychologin ausgebildet. Sie schlichten ca. 100 Streitfälle im Schuljahr.

Die „Peer Mediation“ genannte Vermittlungstätigkeit Gleichaltriger ist nur ein Instrument in einem ganzen Arsenal von Interventionen, die seit Jahrzehnten an amerikanischen Schulen ausprobiert werden. Eingangskontrollen und Metalldetektoren sind dabei nur die vordergründigsten Mittel, die von vielen Pädagogen aber abgelehnt werden, weil sie die Schüler grundsätzlich unter Verdacht stellen und Mißtrauen säen. Auch Schuluniformen, die Jugendgangs ununterscheidbar machen sollen, sind umstritten.

Es gibt eine schmale wissenschaftliche Literatur, die Erfolge und Mißerfolge von Gewaltvorbeugung an Schulen untersucht. Ihr Ergebnis ist ernüchternd: Es scheint keine Gewaltprävention zu geben, deren Erfolg sich unstreitig nachweisen läßt. Vor allem für die Wirksamkeit der immer populärer werdenden Programme von Schülergerichten und Schülervermittlung gibt es trotz glühender Berichte einzelner Schuldirektoren keinen Beweise. Auch die vielbeschworenen Schulpsychologen, die Problemkinder beraten und betreuen sollen, haben keinen nachweisbaren Erfolg.

Vielversprechender ist Familientherapie – vor allem dann, wenn sie nicht nur die Probleme innerhalb der Familie bearbeitet, sondern sich auch der Schwierigkeiten annimmt, die Familien mit der Außenwelt haben. Den größten Erfolg haben Familientherapien, wenn sie mit der Ausbildung in Problemlösungsstrategien für den Alltag einhergehen und wenn Eltern in die Schularbeit einbezogen werden. Eltern helfen den Lehrern und erhalten im Tausch Elternberatung. Viele alleinstehende Eltern aber fallen unter dem Druck des Alltags in alte Gewohnheiten zurück und beginnen den Zyklus der Gewalt von vorne.

Gute Erfahrungen sind mit Diskussionen und Rollenspielen gemacht worden. Ein Versuch, bei dem Jugendliche jede Woche einen halben Tag lang ihre Konflikte durchspielten, ergab, daß die Gewalt unter den Jugendlichen abnahm. Populär sind zur Zeit auch Programme, die die Schule mit dem Stadtteil verbinden wollen. Dazu verwandeln sich Schulen nachmittags zu Jugend- und Gemeindezentren, Betriebe und Geschäfte aus dem Stadtteil, Staatsanwälte und Richter werden in die Gestaltung von Schule und Unterricht einbezogen, Polizisten werden etwa als Sportlehrer an die Schule geholt.

All diese Bestrebungen haben begrenzten Wert: „Unsere Gesellschaft hat ein zwiespältiges Verhältnis zur Gewalt“, sagt Patrik Tolan, Psychologe an der University of Illinois in Chicago und Autor einer Studie über Gewaltprävention, „man denke nur an die nicht abreißen wollende Debatte über Prügelstrafe und die Popularität von Gewaltfilmen. Wie kann in einem solchen gesellschaftlichen Klima Gewaltprophylaxe betrieben werden?“ Peter Tautfest