Welthandelsorganisation vollkommen kopflos

■ Die Amtszeit von WTO-Chef Ruggiero ist ausgelaufen, aber die Mitgliedsländer sind außerstande, sich auf einen neuen Chef zu einigen. Entscheidung wurde erst mal verschoben

Berlin (taz) – Die Welthandelsorganisation (WTO) ist führungslos. Die vierjährigeAmtszeit von Generaldirektor Renato Ruggiero lief Ende April aus, doch die 134 Mitgliedsstaaten konnten sich auch auf einem Verhandlungsmarathon am Wochenende nicht auf einen neuen Chef einigen. Gestern dann wurde die eigens einberufene Sitzung des WTO-Generalrats auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Stimmung am Wochenende bezeichnete WTO-Sprecher Keith Rockwell als „gereizt, spannungsgeladen und nicht gerade angenehm“.

Zwei Ländergruppen stehen einander unversöhnlich gegenüber. Die eine – 62 Länder unter Führung der USA, darunter auch die Bundesrepublik – will unbedingt den ehemaligen neuseeländischen MinisterpräsidentenMike Moore als neuen Generaldirektor sehen. 59 Länder – vor allem ostasiatische Schwellenländer sowie Japan – stehen verbissen hinter dem stellvertretenden thailändischen Ministerpräsidenten Supachai Panitchpakdi.

In der WTO, die Einigungen bisher immer im Konsensverfahren erzielte, ist damit eine Art Nord-Süd-Konflikt ausgebrochen. Der Thailänder Supachai unterstützte zum Beispiel im vergangenen Jahr ganz freihandelswidrig die „Buy local“-Kampagnen der Regierungen der asiatischen Krisenländer. Moore hingegen hat sich in Augen der USA und anderer Industrieländer für den Posten qualifiziert, weil der ehemalige Gewerkschafter in Neuseeland eine drastische wirtschaftliche Deregulierung durchgesetzt hatte.

Sein Anliegen für die WTO ist aber auch mehr Transparenz sowie mehr Sensiblität gegenüber sozialen und ökologischen Anliegen. Dies ist durchaus im Interesse der Clinton-Regierung, die sich dadurch eine höhere Akzeptanz der WTO verspricht. Gerade die asiatischen Schwellenländer aber verurteilen Umwelt- und Sozialstandards als ein fieses Mittel der Industrieländer, ihnen den Zugang zum Weltmarkt zu erschweren.

Die Verbitterung der Schwellenländer gegen den Durchmarsch der USA dürfte nun eher noch zunehmen. Am Freitag reichte die US-Regierung gleich mehrere Beschwerden bei der WTO ein: Indien, Süd-Korea, Argentinien, Kanada und die EU würden gegen die Welthandelsregeln verstoßen.

Die Supachai-Unterstützer wollen nun – ein Novum für die konsensgewohnte WTO – eine Abstimmung über den neuen Direktor, während die Gegenpartei Supachai zum Rückzug auffordert. Dabei wäre ein als Vermittler dienender Chef jetzt wichtiger denn je. Schließlich stehen in der WTO wichtige Entscheidungen an: etwa die Aufnahme Chinas und eine Lösung des EU-US-Handelskonflikts um hormonbehandeltes Rindfleisch. Nicola Liebert