Überforderungen und der anklagende Kinderblick

■ Margarethe von Trotta entdeckt den Naturalismus in „Dunkle Tage“ (20.15 Uhr, ARD)

Angela Rinser ist müde und verdient als Chefsekretärin das Geld. Papa Rinser (Konstantin Wecker) ist sanft, dazu Vogelkundler und erzählt den beiden Kindern die Märchen. Eines Tages bekommt Papa hohes Fieber, stirbt – und Mama Rinser beginnt zu trinken. Das Wunderbare dieser Ehe wird dem Zuschauer nicht erklärt, doch auch so begreift er, daß Frau Rinser (Susanne von Borsody) schon vor dem Tod ihres Mannes überfordert war. Jetzt versteckt sie viele Flachmänner im Büro und zu Hause.

„Dunkle Tage“ beginnen für die Restfamilie Rinser, Tage, in denen alles – Arbeit, Wohnung, Liebe – verloren und eine sehr bedrückende Freiheit gewonnen wird. Margarethe von Trotta entdeckt mit ihrem neuen Film den Naturalismus für sich – wenn auch nur halb.

Das liegt nicht an der Besetzung. Susanne von Borsody wirkt angenehm ungelackt – sie hat, anders als die Fraktion der alterslosen deutschen Schauspielerinnen, enormen Mut zur Häßlichkeit, ja, sogar zum Charakter. Womöglich könnte Borsody sogar eine Fließbandarbeiterin spielen, ohne daß der Zuschauer sich veralbert fühlt. Und Trotta fordert sowohl diesen Mut der Borsody als auch ihre beträchtliche Fähigkeiten zum method acting. Immer wieder muß sie sich als Trinkerin in der eigenen Kotze suhlen, die Haare grau und glanzlos, das Gesicht rotgesoffen.

Daran also liegt es nicht. Rätselhaft ist Trottas Buch. Unvermittelt gibt es einen Zeitsprung: Plötzlich sind die Kinder in der Pubertät, und von Angela wird behauptet, daß sie zwischendurch clean war. Wie hat sie das geschafft, warum trinkt sie jetzt wieder? Warum läßt die Regisseurin die beiden Kinder jahrelang vollkommen allein mit dieser Trinkerin – vornehmlich wohl, um deren Leid tiefer auszumalen. Unerklärlich, daß Angelas Freunden der kindliche Co-Alkoholismus piepegal sein soll. Und wovon eigentlich lebt diese Familie und zahlt die Miete, wenn die Mutter zu keinem Ämtergang mehr fähig ist? Feli und Max jedenfalls wirken immer wie aus dem Ei gepellt.

Doch Margarethe von Trotta war Psychologie schon immer wichtiger als soziale Schlüssigkeit. Sie zeigt recht eindrucksvoll, wie der junge Max im Laufe der Jahre nahezu kriminelle Aggressionen entwickelt, und die Überforderung der kleinen Felicitas (vielversprechend: Stefanie Stappenbeck), die vorzeitig in die Rolle des Familienoberhaupts gezwungen wird – in eine wechselseitige, durch und durch dysfunktionale Abhängigkeitsbeziehung zwischen Mutter und Tochter, aber scheinbar besser als gar nichts. Das alles ist als Studie interessant anzusehen. Das Psychogrammhafte, schon immer Vorliebe und Stärke der Trotta, funktioniert dank der hervorragenden Darsteller ausgezeichnet.

Andere Basics am Trotta-Stil möchte man indes nicht mehr ertragen. Den unseligen Hang dieser Frau zu den geballten Schwermutsverstärkern beispielsweise: Gleich zu Anfang, auf dem Friedhof, müssen es unbedingt herzzerreißende Ethno-Klagen sein; Erik Saties Gnosiennes dürfen nicht fehlen; und wenn Max am schlimmen Ende rennt, rennt, rennt, geht das nur zur Opernarie. Da verpuppt sich das Sozialdrama dann zum Trotta-Eigentlichen – zum stilisierten Kunstnaturalismus. Vielleicht ist das wirkliche Drama der Münchner Künstlerin ja unerträglich. Dennoch ist Kunstpathos keine ehrenwerte Art, Distanz zum Leid einzulegen. Anke Westphal