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Von Klassik und Popkultur

■ Die türkische Sängerin Candan Ercettin hat die Umarmung durch Bremer Gutmenschen schadlos überstanden und gastiert jetzt in der Glocke

Candan Ercettin ist überall. Im Reisebüro, im Supermarkt und in Plattenläden hängt ihr Plakat. Und jetzt sitzt sie auch noch neben Henning Scherf im Rathaussaal, wo sonst nur Leute wie der dicke, wichtige EU-Kommissar Martin Bangemann neben den Bremer Regierenden sitzen.

„Wollen Sie mich was fragen?“ gibt sie kokett in die versammelte Journalistenrunde. Wollen wir. Aber Henning Scherf läßt uns nicht, sondern erzählt erstmal, wie wichtig es ist, daß wir Candan Ercettin gut finden.

Schließlich ist sie eine der erfolgreichsten Sängerinnen der Türkei. Und sie kommt für ein einziges Konzert nach Deutschland – ja, nach Bremen. Und das ist eine einmalige Chance, mal eine andere, aufgeklärte, weltbürgerliche Variante der Türkei kennenzulernen, findet der Bürgermeister.

Tatsächlich ist Candan Ercettin eine ungewöhnliche Sängerin, die es lohnt, im Konzert zu sehen – nicht nur, weil sie dank eines Studienjahres in Wien sehr gut deutsch spricht. Erst mit 32 Jahren nahm sie 1995 ihr erstes Pop-Album auf. Zuvor hatte sie ein Studium – Archäologie – durchgezogen, wie es sich für eine Tochter der wohlhabenden, aufgeklärten türkischen Oberschicht gehört. Danach wurde sie am staatlichen Konservatorium für Musik und Gesang in Istanbul ausgebildet.

Ihre klassisch geschulte Stimme überzeugte das türkische Massenpublikum auf Anhieb. Ihr Debüt „Hazirim“ (Ich bin bereit) verkaufte sich 400.000 mal. Allerdings blieb sie trotz des Erfolges auf Distanz zur Popszene: keine Drogengeschichten, keine wilden Affären, kein Klatsch. „Ich bleibe lieber zu Hause,“ sagt sie. Das zweite Album „Capkin“ (Verführer) verkaufte sich trotzdem doppelt so oft wie das erste.

Eigentlich sollte das ausreichen, um auf diese Verteterin der türkischen Popmusik neugierig zu sein. Doch die Bremer Veranstalter inszenieren um Candan Ercettin eine sinnlose Scharade: „Die Stimme des Bosporus“ soll die Popsängerin sein, ein Etikett, das sie selbst zum Lachen findet, so blöd ist es. Dann der Bürgermeister, der dem Bildungsbürgertum hochoffiziös verkünden muß, wie toll so ein Beitrag zur Völkerverständigung ist. Auch diese Vorlage kommt vom Veranstalter: Das Konzert sei als Beitrag für den kulturellen Austausch zwischen den Völkern gedacht und soll deutschen Musikliebhabern einen Einblick in die türkische „World-Music“ geben, heißt es auf dem Waschzettel.

Mit Weltmusik und Völkerverständigung aber hat die Musik von Candan Ercettin ebensoviel zu tun wie Walt Disney's „Alladin“ mit dem Leben in Istanbul. Es geht um populäre Unterhaltung, gut gemacht und freundlich, um mehr nicht. Wer einfach gut unterhalten werden will, kommt auf seine Kosten. Wer Ethno-Klänge oder tiefe Einblicke in die türkische Kultur erwartet, wird enttäuscht werden. So wird gut gemeinte Werbung unversehens zur Mogelpackung, wenn eine große Koaliton aus Veranstalter und Bürgermeister befürchtet, mit einfach gutem türkischer Pop die Bude nicht voll zu bekommen.

„Für die türkische Popmusik könnte man es ,Alternativ' nennen,“ sagt Ercettin, als sie endlich selbst über die Musik erzählen darf, die sie macht. Dafür spricht ihre klassische Ausbildung, die nicht mit Wegwerfkultur und platten Melodien zusammen paßt. Wie viele Popkünstler glänzt Ercettin durch Perfektion. Nichts ist dem Zufall überlassen. Die türkischen Instrumente und Harmonien sind nahtlos in ein westliches Klangewand aus E-Gitarren und dicken Keyboards eingearbietet. Die traditionellen Elemente kommen ab und an zurückhaltend an die Oberfläche, ohne die glatte Klangpolitur irritierend zu stören. Eine tolle Stimme hat die Türkin. Von den Einflüssen, die sie nennt und bei ihren Live-Konzerten aufgreift – Edith Piaf, Marlene Dietrich und Co. – hört man dagegen auf der Platte gar nichts.

Aber Ercettin will Pop mit Niveau machen, sagt sie. Sie singt nie Playback. Die künstlerischen Regeln bestimmt sie – keine Selbstverständlichkeit in der Popwelt, schon gar nicht im Macho-Wunderland Türkei. Küßchen-Geräusche wie in Tarkans derzeitgem Hit „Sirselik“ würde sie nie nachmachen, sagt sie. Daß auch türkische Eltern sie deshalb mögen, heißt aber nicht, daß die Türkin langweilig wäre. Im Gegenteil: Ercettin war die erste türkische Sängerin, die ein eigenes Remix-Album auf den Markt brachte.

Und „Capkin“ ist auch im Originalmix ein solides Pop-Album voller sauber produzierter Stücke zum immer gleichen Thema Liebe. „Das erste Lied handelt davon,“ sagt Candan Ercettin. „Und das zweite auch. Warten sie mal, das dritte ... das auch, aber der Text ist sehr abstrakt. Verschiedene Bedeutungen stecken darin.“ Schöner hätte es auch Ex-Take-That-Sänger Robbie Williams nicht sagen können. Lars Reppesgaard

Konzert Sonntag, 19 Uhr, Glocke

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