Fotografen waren geschockt

Nivel-Prozeß: Am dritten Verhandlungstag belasten zwei Fotografen die vier mutmaßlichen Täter von Lens. Verteidigung will Glaubwürdigkeit erschüttern  ■   Aus Essen Gisa Funck

„Sowas Schreckliches habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen, wie man auf einen Mann so eintreten kann.“ Raimund Emrich spricht leise, fast wimmernd. Die Bilder jener Juninacht im nordfranzösischen Lens vergangenes Jahr nach dem Spiel Deutschland gegen Jugoslawien verfolgen den 24jährigen Speditionskaufmann aus Berlin noch heute. Dabei mag er Fußballspiele, ist Hertha-BSC-Fan, und mit Hooligans plauscht er manchmal sogar. Aber das Bild, wie „Herr Z. mit der Gewehrkartusche dreimal auf Herrn Nivel eingeschlagen hat, nee, das werde ich nie vergessen“, wispert Emrich.

Der angesprochene Andreas Z. auf der Anklagebank zuckt nicht mit der Wimper. „Aus Neugier“, berichtet Emrich weiter, sei er in die kleine Seitengasse geraten, in der 20 bis 30 deutsche Hooligans den französischen Polizisten in die Enge getrieben und zu Boden gerissen hatten. Als dort eine Handvoll Fans den liegenden Beamten fast zu Tode prügelte, habe er zum Fotoapparat gegriffen. „Ich wußte mir nicht anders zu helfen. Ich dachte mir, dadurch können die Täter später bestraft werden“, erklärt Emrich stockend.

Tatsächlich belasten seine Fotos zwei der vier angeklagten Hooligans schwer. Neben Andreas Z. zeigt eins der Bilder den Hamburger Fußballfan Tobias R., wie er gerade sein Bein über dem wehrlosen Nivel erhebt. „Da stampft er auf ihn ein“, so Emrich.

R. selbst hatte diese Bewegung noch als harmlosen „Sprung“ über den Polizisten hinweg abgetan. Die Verteidiger macht die Aussage Emrichs sichtlich nervös. Da versucht R.s Anwalt Axel Nagler mit dem Hinweis, daß der Zeuge im Fußballstadion auch schon mal beim Stehlen erwischt worden sei, dessen Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Und da bricht schließlich ein wahrer Sturm der Empörung unter den Verteidigern los, als der Vorsitzende Richter Rudolf Esders den Beweisfotografen dazu ermuntert, bei der zweiten Zeugenbefragung im Saal zu bleiben, um die „eigene Aussage überprüfen“ zu können.

Tatsächlich läßt der zweite Zeuge den Mandanten kaum Chancen auf eine milde Strafe. „Ich kann mit Bestimmtheit sagen, daß alle der vier Angeklagten daran beteiligt waren“, sagt der 18jährige Walter Sauer gleich vorweg mit fester Stimme. Der arbeitslose Jugendliche aus Wien ist ein Profi im Ablichten gewalttätiger Hooligans. Er verdient sein Geld damit, Bilder von Schlägereien an Fans zu verkaufen. Im Gegensatz zu Emrich klingt Sauers Stimme nüchtern, und er kann sich an genaue Details erinnern. Tobias R. und Frank R. hätten demnach den Gendarm mehrfach mit Füßen und Fäusten malträtiert, Christopher R. hätte viermal mit einem Holzschild, Andreas Z. dreimal mit der Gewehrkartusche auf ihn eingeschlagen.

Nach Sauers Worten sind zumindest Zawacki und Rauch keine Gelegenheitsschläger. Schon am frühen Abend seien sie beide an anderen Raufereien beteiligt gewesen, bei denen zwei Telefonzellen zu Bruch gingen und ein Kameramann verletzt wurde.