Das Ende der Jagdreviere

Auftakt zur Parksaison: Fußbälle titschen über Picknickdecken, es duftet nach Grillkohle. Doch öffentliche Gärten waren nicht immer Sache der Bürger  ■   Von Kirsten Niemann

an sieht kaum noch einen Grashalm vor lauter bunten Deckenlagern. Weiße Brüste recken sich den ersten warmen Sonnenstrahlen entgegen. Männer treten gegen Fußbälle, kreischende Kinder balgen mit bellenden Hunden. Türkische Familien wenden ihre Kebabs auf Holzkohlegrills. Die Mülleimer quellen über. Die Parksaison ist eröffnet, das Volk okkupiert die Gärten der Stadt. Das war nicht immer so.

Ursprünglich waren Parkanlagen königliche Gärten, in denen dasVolk nichts zu suchen hatte. Wie der Tiergarten, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts als umzäuntes Jagdrevier vor den Toren der Stadt angelegt wurde. Erst im Jahr 1742 ließ Friedrich II. den Tiergarten für die Bürger öffnen und auf dem verwilderten Gelände einige Wege, Labyrinthe und Heckensalons anlegen. Erstmals wurde der Tiergarten ab 1833 konzeptionell gestaltet: von Peter Joseph Lenné, einem Gartenarchitekten, der die Berliner Parklandschaft maßgeblich prägte.

Lenné war der erste Gartengestalter, der Erholungsflächen für die Bevölkerung forderte. Schließlich, so befand er, sei der öffentliche Garten „ein für die Volksbildung keineswegs gleichgültiger Gegenstand“. Bereits 1824 entwarf er mit dem Klosterberg in Magdeburg den ersten deutschen Volksgarten: Statt kunstvoll verzierter Blumenrabatten und verwunschener Hecken waren nun Ausflugslokale gefragt. Plätze – wie Lenné das formulierte – „zum geselligen Verein in der schönen Jahreszeit“. Parkanlagen sollten nicht nur feudalen Kreisen, sondern der Masse Erholung bieten.

Vor allem im Norden Berlins, wo die meisten Arbeiter wohnten, mangelte es an Grün. Im Jahr 1840 faßte Lenné den Plan, einen grünen Gürtel um die Stadt anzulegen. Ein Vorhaben, das nur in Teilen realisiert wurde: Mit dem Landwehrkanal zum Beispiel.

Acht Jahre nach Lennés Plänen legte sein Schüler Gustav Meyer den Friedrichshain an, den ersten Volkspark Berlins. Er war das bürgerliche Pendant zum königlichen Tiergarten. Schon kurz nach seiner Fertigstellung wurde der Friedrichshain zum Symbol des erstarkten Bürgertums vom Vormärz. Zumal dort 1848, im Jahr seiner Eröffnung, die Gefallenen der Märzrevolution bestattet wurden. Obwohl Bürgerliche Revolution und Demokratisierung gescheitert waren, entwickelte sich die bürgerliche Parkidee weiter.

Mitte des 19. Jahrhunderts noch, als Meyer gerade den Friedrichshain anlegte, beschränkten sich die Outdoor-Beschäftigungen der Leute auf spazierengehen und geselliges Herumsitzen im Schatten. Gestalterisch galt der Landschaftsgarten als Ideal. Allerdings sollte er nun mehr Wege haben – um möglichst viele Menschen aufnehmen zu können.

Mit der Gründung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege setzte in Deutschland – nach England und den USA – die große Volksparkbegeisterung ein. In den siebziger Jahren wurde die Gestaltung von Parks komplexeren Bedürfnissen gerecht: Rasenflächen, die man zuvor nicht betreten durfte, verwandelten sich in Bolzplätze. Der Park diente der Volksbelehrung: Mit dem Anlegen und der Beschriftung fremder Pflanzen entstanden die ersten botanischen Gärten; es gab Teiche für Reptilien. Besonders wichtiger Bestandteil eines Parks: das Ausflugslokal mit Verkehrsanbindung.

Unter Gustav Meyers Regie entstanden in Berlin eine Reihe wichtiger kommunaler Parkanlagen: der Humboldthain, der Treptower Park und der Kleine Tiergarten. Den Höhepunkt der Volksparkbewegung läutete jedoch der Berliner Gartenarchitekt Ludwig Lesser ein: Im Jahr 1913 gründete er den Deutschen Volksparkbund. Denn immer noch gab es Verbesserungswünsche. Ein Park brauche mehr als schattige Alleen und Plätze, hieß es in den Grundsätzen des Bundes. Meistens, klagte Lesser, sei „der Zierwert viel zu stark berücksichtigt“.

Die Alternative zum Deko-Garten hieß tobendes Entertainment im Grünen: Lesser forderte sonnige Spielwiesen und Wasserflächen, die als Badeteiche genutzt werden konnten. Unterkunftshallen, Trinkbrunnen, Erfrischungshäuschen, Toiletten, Turnplätze, Umkleidemöglichkeiten seien genauso unerläßlich wie Musiktempel und Vogelhäuser. Bis zur Machtübernahme der Nazis entstanden Jungfernheide, Schillerpark und die Wuhlheide, die mit 175 Hektar Fläche größte Erholungsfläche der Stadt.

Erst die großstadtfeindlichen Nazis hatten andere Pläne: Nicht mehr der vielfältig nutzbare öffentliche Park war gefragt, sondern Friedhöfe und Privatgärten, die sich besonders prächtig zur Idealisierung nationalsozialistischer Familienkultur eigneten. Bestehende Volksparks wurden für eigene Zwecke mißbraucht: Im Volkspark Rehberge entfernte man zum Beispiel den Rathenaubrunnen zugunsten eines Kriegerdenkmals. Obendrein richteten die Nazis einen Kleinkaliberschießstand ein sowie eine Thingstätte und einen Platz für Aufmärsche. Die Natur als Kulisse für nationalsozialistische Propaganda.

Nach dem Krieg waren achtzig Prozent aller Berliner Grünflächen verwüstet. Was übrig blieb, wurde zu Brennholz. 110.000 Bäume wurden gefällt. Die Parks entwikkelten sich zum Volksversorger Nummer eins: Bis in die fünfziger Jahre gediehen in den Anlagen statt Rasenflächen und Rosenrabatten Kohl und Kartoffeln. Erst in der Ära des Wirtschaftswunders begann man die alten Parks wieder zu begrünen und Brachflächen in neue Parks zu verwandeln.

Mit der Blütezeit der Ökologiebewegung in den achtizger Jahren wurden nicht nur Bolzplätze und Ziergärten geschaffen, sondern auch Wasserbiotope wie in der Hasenheide oder dem Görlitzer Gelände.