■ Serben und Albaner können nicht mehr zusammenleben, heißt es überall. Soll das Kosovo also geteilt werden?
: Wider das völkische Prinzip

Nicht in den nächsten Tagen, vielleicht in wenigen Wochen schon, spätestens aber in einigen Monaten wird der Krieg im Kosovo zu Ende sein. Ihr Hauptziel wird die westliche Staatengemeinschaft zumindest partiell durchsetzen: die Rückkehr der Flüchtlinge.

Dies setzt voraus, daß die serbischen Streitkräfte sich aus der Provinz zurückziehen und eine internationale bewaffnete Schutztruppe stationiert wird. Rußland hat sich vorgestern auf dem G-8-Gipfeltreffen dieser Position angeschlossen.

Nun geht es ums Detail: Wird die Nato nur den Kern dieser Truppe bilden, oder wird sie das Kommando haben? Wie wird Rußland eingebunden und wie die UNO? Alles Fragen, die Stoff für Debatten, Querelen und Manöver abgeben. Man wird eine Einigung finden. Dann aber spätestens wird sich die verdrängte Frage zurückmelden: Was soll aus dem Kosovo werden? Welchen Status soll die Provinz bekommen? Gilt Rambouillet noch? Soll das Kosovo wirklich – zumindest für die nächsten drei Jahre – eine serbische Provinz bleiben?

Auf dem Gipfeltreffen der G-8 verständigten sich die Außenminister des Westens und Rußlands auf dem Rambouillet-Abkommen zu beharren. Das hieße, daß die Albaner wieder Bürger oder Untertanen eines Staates würden, dem sie nicht angehören wollen und der sie seinerseits faktisch ausgebürgert hat: Den Vertriebenen wurden die Pässe abgenommen, Geburts- und Heiratsurkunden wurden verbrannt.

Nach all dem, was in den letzten sechs Wochen passiert ist, scheint jede auch noch so großzügige Autonomie des Kosovo innerhalb Serbiens als Lösung auszuscheiden. Andererseits zögert die westliche Staatengemeinschaft, den Albanern ein unabhängiges Kosovo in Aussicht zu stellen – vor allem aufgrund der Angst vor einer Destabilisierung Makedoniens.

Und so kommt als mögliche Kompromißlösung immer häufiger eine Teilung des Kosovo ins Gespräch. Die US-Außenministerin Madeleine Albright hat sie schon ins Spiel gebracht, der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Karl Lamers, sprach sich dafür genauso aus wie Lord Owen, der glücklose Vermittler im Bosnienkrieg, und selbst Timothy Garton Ash sieht in ihr eine Lösung. Eine Teilung bietet sich nicht nur als Kompromiß an, bei dem beide Seiten auf etwas verzichten, sondern sie scheint sich geradezu aufzudrängen, wenn man davon ausgeht, daß Albaner und Serben ohnehin nicht mehr zusammenleben können und wollen. Doch seltsamerweise gehen die Apologeten einer Zweiteilung des Kosovo nie ins Detail.

Dann nämlich würden sie feststellen müssen, daß es im Kosovo nicht einfach serbisch und albanisch besiedelte Gebiete gibt, die man dann mit etwas gutem Willen arrondieren könnte, wie uns so viele Infografiken suggerieren. Es gab bis zum Beginn der Vertreibung in diesem Jahr keine einzige größere Stadt im Kosovo mit serbischer Mehrheit. Es gibt zwei oder drei sehr kleine und bevölkerungsarme geschlossene serbische Siedlungsgebiete, es gibt in den meisten Teilen der Provinz vereinzelte serbische Dörfer, und es gab viele gemischte Dörfer. Insgesamt machten die Serben etwa zehn Prozent der Bevölkerung aus, in der Hauptstadt Pritina und der zweitgrößten Stadt Pec rund zwanzig Prozent.

Unabhängig davon, ob man Klöster und Minen für Serbien retten will oder nicht, gibt es keine denkbare Demarkationslinie, die die Hälfte oder auch nur ein Drittel der Provinz in einer Weise zu Serbien schlagen könnte, daß in dieser Hälfte oder in diesem Drittel die Serben dann auch in einer Mehrheit wären – immer vorausgesetzt, die vertriebenen Albaner kehrten an ihre angestammten Orte zurück. Die Apologeten einer Teilung des Kosovo spekulieren also, daß Albaner nicht in ihre Häuser zurückkehren, sofern diese sich im serbischen Teil befänden, und sie nehmen wohl auch in Kauf, daß die verbliebenen Albaner jene Orte verlassen.

Es geht nicht darum, alle vertriebenen Albaner ins Kosovo zurückzuzwingen. Viele, vor allem mehrsprachige Jugendliche aus der städtischen Schicht mit akademischer Bildung, werden ihr Glück in Westeuropa und den USA versuchen. Aber viele wollen zurück, weil sie in Albanien und Makedonien keine Zukunft sehen und keine Chancen haben, sich mit ihren Familien in den goldenen Westen, der sie nicht haben will, durchzuschlagen. Sie haben ein Recht auf Rückkehr an ihre angestammten Orte, und eine internationale Schutztruppe muß ihnen zu diesem Recht verhelfen.

Viele Kosovo-Albaner haben Jahre oder Jahrzehnte in Deutschland oder der Schweiz gearbeitet, um sich in der Heimat ein Haus zu bauen, für sich, für ihre Familie, für ihre Nachkommen. Weshalb sollten sie auf Hof und Land verzichten? Bloß weil eines Tages irgendein bewaffneter Schurke dahergekommen ist und sie vertrieben hat? Bloß weil ausländische Politiker zu dem Schluß kommen, die Albaner und die Serben könnten nun mal nicht mehr zusammenleben?

Viele Serben werden das Kosovo verlassen, wenn es autonom, ein internationales Protektorat oder unabhängig wird, weil sie nicht unter albanischer Verwaltung leben wollen, weil nationalistische Führer sie – wie in der kroatischen Krajina und wie in Sarajevo – aufrufen werden, die Provinz zu verlassen, weil sie Angst vor albanischer Revanche haben, oder weil sie in Verbrechen an den Albanern verwickelt sind. Man wird niemanden zwingen zu bleiben. Doch wer bleiben will, hat ein Recht darauf. Und eine internationale Schutztruppe muß dieses Recht der serbischen Minderheit in einem vermutlich vorerst feindlichen albanischen Umfeld durchsetzen.

Erst wenn die äußeren Bedingungen der Sicherheit gegeben sind, wird sich zeigen, ob Serben und Albaner jemals wieder zusammen oder nebeneinander werden leben können. Wer nicht zusammen oder in Nachbarschaft leben mag, dem steht es frei zu gehen. Es ist jedenfalls kein akzeptabler Grund, den anderen zu vertreiben. Das mag sich naiv anhören, und die Realität ist gewiß komplexer. Doch tut man gut daran, sich von dieser Warte aus eine Zukunft zu denken.

Eine Sezession des Kosovo von Serbien und vermutlich auch von der Bundesrepublik Jugoslawien wird allerdings nicht mehr zu verhindern sein. Nicht weil Albaner und Serben nicht mehr miteinander leben können, sondern weil den Albanern ein Leben unter serbischer Fremdherrschaft nicht mehr zuzumuten ist.

Muß aber im Fall einer Sezession des Kosovo nicht auch der bosnischen Serbenrepublik das Recht auf Austritt aus Bosnien zugestanden werden? Nein, muß nicht und darf nicht. Die Republika Srpska ist schließlich das Produkt einer „ethnischen Säuberung“, viele ihrer Städte – Brcko, Prijedor, Foca, Viegrad, Zvornik – hatten vor den Vertreibungen eine muslimische Mehrheit. Gewiß, nur sehr wenige Muslime sind zurückgekehrt.

Doch die Rückkehr stagniert nicht, weil die Muslime mit Serben nicht mehr zusammenleben wollen, sondern weil dieselben Polizisten, die sie vertrieben haben, noch im Amt sind, weil die Hauptkriegsverbrecher nicht gefaßt wurden, weil es keine Sicherheit gibt, weil man ihnen das Recht auf ihr Eigentum an Haus und Hof verwehrt, weil die internationale Gemeinschaft die Implementierung der zivilen Aspekte des Dayton-Abkommens jahrelang sträflich vernachlässigt hat. 80 Prozent der vertriebenen Muslime, so stellte eine internationale Kommission im vergangenen Jahr fest, wollen an ihre angestammten Orte in der Republika Srpska zurück.

Auf einer künftigen Balkan-Konferenz wird es nicht nur um einen „Marshallplan“ gehen müssen, sondern auch um eine Grundsatzentscheidung: Will man ein ziviles Zusammenleben verschiedener Ethnien fördern, oder will man den Balkan nach einem völkischen Prinzip neu ordnen? Will man den Menschen eine Rückkehr an ihre angestammten Heimat-Orte ermöglichen, aus denen Kriegsverbrecher sie vertrieben haben, oder will man die mit Mord und Terror geschaffenen Tatsachen akzeptieren, um nicht weitere Unruhe zu riskieren?

Vertreibung und Entwurzelung nähren Rache und Revanche. Die Hoffnung, die ethnische Separation bringe wenigstens politische Stabilität, ist höchst trügerisch. Ein Blick auf Zypern mag genügen. Dort feiert die UNO in diesem Jahr ein Jubiläum: Seit 25 Jahren trennen ihre bewaffneten Truppen dort die Griechen und die Türken. Thomas Schmid

Die Teilung ist eine ebenso naheliegende wie trügerische LösungDie Vertriebenen haben ein natürliches Recht darauf, zurückzukehren