: „Es geht nicht um Spaltung“
■ Vor dem niedersächsischen Landesparteitag der Grünen verteidigt Fraktionschefin Rebecca Harms die innerparteiliche Kosovo-Debatte
taz: Fünf Stunden wollen die niedersächsischen Grünen heute den Kosovo-Krieg debattieren – drohen Spaltung oder massenhafte Parteiaustritte?
Rebecca Harms: Diese Debatte auf dem Landesparteitag in Uelzen steht am Ende einer wochenlangen Diskussion in den Grünen-Kreisverbänden. Zumindest in Niedersachsen hat sich keine andere Partei so intensiv der schwierigen Auseinandersetzung um den Krieg in Jugoslawien gestellt. Ein Ergebnis dieses Diskussion lautet: Es geht nicht um Spaltung, sondern um die inhaltliche Position der Grünen in dieser Frage. Über eine mögliche Spaltung der Partei wurde von vornherein mehr von außerhalb der Grünen spekuliert.
Seit Beginn des Krieges haben 70 von 5.600 Mitgliedern den Landesverband verlassen.
Ich bedauere Parteiaustritte. Daß einzelne überzeugte Pazifisten jetzt die Partei verlassen, muß ich als konsequent anerkennen. In den letzten Wochen haben wir innerparteilich allerdings keine Gesinnungsdiskussion zwischen Pazifisten auf der einen und Befürwortern militärischer Gewalt auf der anderen Seite geführt, sondern eine Debatte darüber, was jetzt und konkret für Menschenleben und Menschenrechte, für mehr Humanität im Kosovo und im gesamten Jugoslawien richtig ist. Die jeweils unterschiedliche Antwort auf diese Frage quält unsere Mitglieder und wird auch die Debatte auf dem heutigen Parteitag bestimmen.
Der Landesvorstand hat zur heutigen Debatte einen Leitantrag formuliert, der den Titel trägt: „Für eine sofortige, einseitige, befristete Einstellung der Nato-Bombardements“.
Im Mittelpunkt der beiden aussichtsreichen Anträge steht nicht die Frage, war es richtig oder falsch von der Bundesregierung, vor nunmehr über 40 Tagen diesen Krieg mitzubeginnen, sondern die Frage, was kann man jetzt für den Frieden tun. Der Antrag des Landesvorstandes und auch der des hannoverschen Kreisverbandes konstatieren, daß die Kriegsziele der Nato, daß der Schutz der Kosovaren vor Vertreibung und Gewalt durch die Bombardements nicht erreicht worden sind. Auch durch eine Unterbrechung der Luftangriffe kann sich die Lage der Menschen im Kosovo nicht mehr weiter verschlechtern. Eine Unterbrechung würde allerdings diplomatischen Friedensbemühungen mehr Raum gehen, etwa den Bemühungen Rußlands. Sie würde auch der Opposition in Serbien wieder mehr Luft geben. Die aktuellen Beschlüsse der G-8-Länder machen mir neue Hoffnung auf mögliche Erfolge der Friedensbemühungen Joschka Fischers. Ich glaube aber, daß die Aussichten für Friedensverhandlungen in Jugoslawien in einer Waffenpause weit besser sind.
Mit der Forderung nach einem befristeten Bombenstopp lassen die Niedersachsen dann auch die Grünen in der Bundesregierung nicht im Regen stehen.
Nicht das Schicksal der Bundesregierung, sondern die Situation im Kosovo und in Jugoslawien steht im Mittelpunkt der Debatten an der Basis. Es kann in dieser schwierigen Frage, in diesem Gewissenskonflikt keine einheitlich durchdeklinierte Position zwischen Bundesregierung, Bundestags- oder Landtagsfraktionen und Parteibasis geben. In dieser Situation muß in unserer Partei mehr als eine Meinung möglich sein.
Der niedersächsische Kosovo-Leitantrag erteilt weiteren Nato-Einsätzen ohne UNO-Mandat eine klare Absage - mit dem Tenor „Einmal und nie wieder“.
Daß die Stärkung der UNO die wichtigste Aufgabe grüner Außenpolitik sein muß, habe ich jedenfalls aus der Beschäftigung mit diesem Krieg gelernt. Es darf sich nicht wiederholen, daß sich die Nato das Recht zu einem militärische Einsatz außerhalb des Territoriums ihrer Mitgliedstaaten nimmt. Interview: Jürgen Voges
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen