Deutschland und der Krieg, Teil 4
: Viereinhalb Stunden Blechblasmusik, Trachtenkameraden, erhitzte Gemüter

■ Erlangen: Jubiläumsveranstaltung der Egerländer Gmoi, einer Landsmannschaft der Sudetendeutschen. Ein tiefer, tiefer Blick in das Leben eines Vertriebenenvereins

Kilometer 1.022, vierte Reisestation. Erlangen, eine Jubiläumsveranstaltung der Egerländer Gmoi, einer Landsmannschaft der Sudetendeutschen, die im Redoutensaal der Stadt ihr fünfzigjähriges Bestehen feiert.

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Bei unerhört lauter Blechblasmusik, die viereinhalb Stunden lang lediglich vom Gesangsduo Gretl und Franz und einer Schuhplattlergruppe unterbrochen wird, will ich erfahren, was Deutsche mit einer eigenen Vertreibungsvergangenheit zur Lage im Kosovo denken.

Ich bin etwas zu spät gekommen. Der „Vorsteher“ Otto Lösch, ein gutmütiger, alter Herr mit einem schwarz umwickelten breitkrempigen Hut, tritt ans Mikrofon und stellt mich als einen Journalisten von der Berliner Zeitung vor. Respektvoller Applaus der etwa 500 Gäste im Saal. Widerspruch unmöglich.

Man geleitet mich an die Ehrentafel. Man weist mir einen Platz zwischen dem Ersten Polizeihauptkommissar Klaus Könnecke und einer Trachtendame zu. Der Kommissar fängt gleich zu erzählen an: Daß die Bundesregierung eine opportunistische Regierung sei; früher seien die alle gegen den Krieg gewesen, und jetzt dies! Da sehe man doch, daß es denen um nichts anderes geht als um die bloße Macht. Wären die noch in der Opposition, würden sie das Land mit ihrer Kriegsgegnerschaft zerreißen.

Auf dem Podium werden Grußworte gesprochen, manche gemahnen an das Schicksal der Kosovo-Albaner, bei dem das unheilvolle Beispiel der Vertreibung der Deutschen Schule mache. Ein Pater Norbert ergreift das Wort und sagt, im Angesicht der massenhaften Vertreibung auf dem Balkan würden hoffentlich endlich auch solche das Leiden der deutschen Vertriebenen anerkennen, die es bislang nur spöttisch belächelt hätten.

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Er meint damit vielleicht solche wie die SPD-Bundestagsabgeordnete Heide Mattischeck, die in einer etwas stockenden, längeren Rede das heutige Leiden im Kosovo für des Paters Geschmack wohl etwas einseitig thematisiert. Jedenfalls brummt er während der Rede unentwegt, das sei ja fast so schlimm wie die Ansprache Antje Vollmers auf dem Sudetendeutschen Jahrestreffen vor einiger Zeit. Die Blasmusik setzt wieder ein, und ich wende mich an den „Trachtenkamerad Friedrich Luffner“, wie er mir vorgestellt wird.

Ein freundlicher, rotwangiger, pfeiferauchender, etwa sechzigjähriger Herr, mit einem Dreieckshut auf dem Kopf, der sehr ernst und nachdenklich vom „verbrecherischen Regime Slobodan Miloevics“ spricht, dem ein Ende bereitet werden müsse. Bomben seien zwar nicht das richtige, aber doch das einzige Mittel, dies zu erreichen. „Dem Mann ist das Leiden seines Volkes doch ganz egal“, sagt er. „Und das der Kinder auch“, fügt seine Frau hinzu.

Ein Herr mit wirrem, grauem Haar vom anderen Ende des Tisches schaltet sich ein: „Man hätte einfach ankündigen müssen, daß binnen acht Tagen alle Serben aus den westeuropäischen Ländern zurück nach Serbien geschickt würden. Das hätte ihn zur Räson gebracht.“ „Aber das verbietet uns das Grundgesetz“, sagt Luffner. „Ja, leider“, so der Herr mit der Gegenvertreibungsidee, „und das weiß der genau. Das ist ja das Schlimme.“

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Die Gemüter an meinem Tisch erhitzen sich langsam. Der Kommissar neben mir wird nicht müde, mir mit dem Thema Ausländerkriminalität und der Behauptung, die Albaner besäßen die Herrschaft über Hamburg, in den Ohren zu liegen. Die Trachtendame auf meiner anderen Seite, die mir eben noch sanft die sieben Egerländer Trachtenarten erklärt hatte, schreit mir nun, entschlossen gegen den Kapellenlärm ankämpfend, ihren „Haß“ auf „den Tschechen“ ins Ohr und daß die Jugendlichen heute für die Juden bezahlen müßten, obwohl sie gar nichts dafür könnten und daß die KZs der Tschechen „tausendmal schlimmer“ gewesen seien als die vom Hitler. Außerdem: Die Flüchtlinge heute, die hätten es doch gar nicht so schlimm. Und Begrüßungsgeld hätte sie nicht bekommen, damals. Sie nicht.

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Irgendwann hat man dann genug gehört. Der freundliche alte Vorsteher Lösch überreicht mir noch einen Jubiläumsteller seiner Gmoi zum Abschied und läßt sich noch kurz bestätigen, daß man einen tiefen Blick werfen konnte in das Leben seines Vereins, einen sehr tiefen. Text und Foto: Volker Weidermann