Frauen ganz allein zu Haus

■  Selbst- und Fremdbezichtigungen bei der Theaterwerkstatt reich & berühmt

Drei Frauen auf drei Stühlen vor einer Wohnzimmertapete in einem winzigen Bühnenraum. Drei Frauen, die mal aufstehen und sich vor einem imaginären Spiegel drehen, die aber schon nicht mehr den Laufsteg nutzen, der die Publikumsreihen entlang zum Ausgang führt; warum denn auch? Drei Frauen, ganz allein zu Hause, sich vor sich selber ins rechte Licht rückend, auf dem Weg nach vorgestern und übermorgen. „Ich interessiere mich auch für Kunst“, sagen sie und: „Wir sind schon nicht mehr die Zukunft, die unsere Kinder sind.“

Nach der Anmoderation durch die Gruppe Showcase beat le mot mit ihrem Konzeptmatch „Grand Slam“ in der Parochialkirche (taz vom 5. 5.) wurde die Theaterwerkstatt reich & berühmt am Freitag mit der Performance „Girlsnightout“ jetzt offiziell im Podewil eröffnet. Schon zum vierten Mal findet reich & berühmt parallel zum Theatertreffen statt, um Theaterkunst im Vorstadium der Promotion zu zeigen – diesmal geleitet von Aenne Quiñones, Carena Schlewitt und Kathrin Tiedemann. Unter der Überschrift „Liebe und Arbeit“ wollen sie Inszenierungen zeigen, die „nach den Möglichkeiten des ,freien Gebrauchs des Eigenen' fragen, gegen die verkrampfte Suche nach Identität und deren politische und merkantile Instrumentalisierung.“

Paßgenau zielt die Collage von Selbstbezichtigungen, Aphorismen und anderen Phrasen, aus denen „Girlsnightout“ besteht, tatsächlich auf diesen Spalt zwischen Ich und Welt, in dem sich das Individuum immer wieder neu als soziales Wesen entwirft. „Ich muß mir jetzt wirklich eine Lebensform suchen, die zu mir paßt“: Die Bühne als öffentliche Umkleidekabine der Identitäten, so eng, überhitzt und grell ausgeleuchtet wie in der wirklichen Welt und wie dort einem einzigen numerischen Gesetz unterworfen: Bitte nicht mehr als drei Teile mitnehmen!

Daran aber halten sich die Regisseure Gesine Danckwart und Remsi Al Khalisi nicht. So schön das Konzept ist, so papieren bleibt die Umsetzung. Das Textaufkommen, das einem auf der Straße von Plakatwänden („Ich heiße Petra und mache Urlaub, sooft ich will!“) und aus Kneipentüren entgegenquillt, das zwischen jedem Gesprächspärchen am Cafétisch wie eine Rauchfahne aufsteigt – hier ist seine schiere Fülle ohne verdichtende Variation oder theatralische Brechung auf drei Darstellerinnen verteilt (Danckwart, Natascha Bonnermann, Anna-Rebekka Düsterhöft) und wird satzweise wechselnd aufgesagt. Dabei gucken sie ehrlich betrübt oder heftig gruppendynamisch, was auch mal rührend, meist aber eher hilflos wirkt.

Im Selbstbezichtigungsklassiker der 90er, „Speak Bitterness“, hat die englische Live-art-Gruppe Forced Entertainment (mit der Danckwart für die Theaterformen Hannover letztes Jahr zusammenarbeitete) kaum sinnlicher, aber professioneller von sich selbst als einer – zu jung für Rock 'n' Roll, zu alt für Techno – identitätsverlorenen Generation erzählt, politischer letztlich auch. Und die Berliner Gruppe Lubricat um den Schauspieler Armin Dallapiccola und den Regisseur Dirk Cieslak führte in „Aber wirklich“ mit collagierten Echtzeittexten ebenfalls vor, daß das Reden über Leben dem Leben manchmal beängstigend ähnlich sieht. Auch hier aber zeigte sich, daß „privat“ zwar modern, aber auch in dekonstruierter Form nur bedingt abendfüllend ist.

„Es ist nicht, wie du denkst“, ein „Dokumentar-Melodram“, das zwei Stunden später im Podewil Premiere hatte, zeigt sich da schon wesentlich spielfreudiger. Die Schauspielerinnen Caroline Peters und Bettina Scheuritzel (beide zuletzt an der Schaubühne in „Kleine Zweifel“ von Theresia Walser) und der Tänzer Jochen Roller versuchen nicht das eigene Sprechen über sich selbst zu verkunsten, sondern nehmen sich fertige Figuren vor, die aber ebenso schemenhaft konturiert sind wie man selbst. In dem auf dem Roman „Anagrams“ von Lorrie Moore basierenden Stück kommt es zu einer Fremdbezichtigung im doppelten Sinne, da alle in wechselnden Intentionen über die Lebensläufe und Charakteristika der jeweils anderen sprechen. Ein dreifacher Alltag zwischen Aerobicstunden, Seitensprung und Flohmarktstand scheint auf, der aber auch seine glamourösen Momente hat oder zumindest haben könnte. Denn schließlich darf man – Anagramme! – alle Bestandteile der Lebensberichte neu mischen, ohne daß die Sache ihren Sinn verlöre.

Die Textpassagen sind dabei nur ein Element von mehreren. Kuschelpop schmiegt sich dazwischen, es gibt Schauplatzwechsel quer durch das Publikum und Videoeinspielungen aus Shirley-Temple-Filmen oder einem 60er-Jahre-Beitrag über Rückbildungsgymnastik nach der Entbindung. Natürlich versteht man nicht, wie das alles zusammenhängt, aber genau das schafft eine entspannte, wirklich ironische und zugleich realistische Atmosphäre, in der man Dingen einfach beim Passieren zusieht. Zugleich erstaunt aber auch hier die konventionelle Schauspielästhetik, die ängstlich das Vorgegebene vollzieht, das konzeptionell doch gerade unterminiert werden soll. Petra Kohse

reich & berühmt, bis 20. Mai, Podewil, Klosterstraße 68–70, Telefon 24 74 96