Brennpunkt Balkankultur

■ Sechs Tage lang versuchen KünstlerInnen aus Ex-Jugoslawien in einer „Black Box“ in Berlin die Opposition zu Hause zu stärken

Neben Dagmar Berghoff flimmert Schneetreiben, und man hört atemlose Stimmen aus Belgrad: „Geht ihr jetzt in den Bombenkeller?“ Zusammengeschnittene Impressionen aus der Bilderschlacht im Fernsehen zwischen ARD-„Brennpunkt“ und brennenden TV-Stationen in Belgrad. „Öffne die Augen und laß dich nicht verarschen“ ist der Appell des Kurzfilms von Sandrina Andjic.

Die Dokumentarfilmerin ist eine der rund vierzig serbischen, kroatischen und bosnischen KünstlerInnen, die das „Balkan Black Box“-Festival in Berlin dieser Tage zum Forum der „anderen“, der Undergroundkultur des ehemaligen Jugoslawien macht. Kosovo-Albaner fehlen. „Hauptkriterium“ für die Auswahl der teilnehmenden Musiker, Künstler, Journalisten und Schauspieler „war ihr Versuch, frei und unabhängig von staatlicher Gängelung zu arbeiten“, sagt Organisator Andreas Knoth, einst Mitinitiator des Berliner Jugendhauses „Mladi Most“ im bosnischen Mostar. Getragen wird „Black Box“ vor allem von unabhängigen Gruppen und die einstige Hausbesetzerszene in Prenzlauer Berg: Die Eröffnungsparty fand am Freitag im Hof des Ex-Besetzer-Projektes Kastanienallee 77 statt. Auf dem Dachboden des 1992 besetzten Hauses logieren derzeit die eingeladenen Künstler.

„Solche Projekte sind ohne junge, unverbrauchte Strukturen unmöglich“, meint Bosijlika Schedlich vom Südost-Europa-Zentrum, „ein vergleichbares Festival gab es in Berlin jedenfalls bislang noch nicht“ – der Kulturaustausch BRD-Balkan sei bislang eine „Einbahnstraße“ geblieben. „So sehr die Deutschen die derzeitigen Konflikte auch verfolgen – sie haben große Berührungsängste“, bilanziert Schedlich. Und: „Die hier lebenden Serben sind zwar aktiv auf der Straße“, sagt sie, „üben sich aber weiterhin in Blindheit.“ „Tratsch und Propaganda ersetzen Information“, sagt Gordan Paunivic vom inzwischen gleichgeschalteten Belgrader Radio B92. Paunivic berichtete auf einer fünfstündigen Podiumsdiskussion am Sonnabend darüber, wie der vormals unabhängige Lokalsender und die Zeitschrift Vreme inzwischen „auf Linie gebracht“ wurden: „Chefredakteur ist jetzt überall der Informationsminister.“ Doch Paunivic relativierte auch: „Wir als betroffene Medien haben nicht das Recht, größere Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, als die zwei Millionen wirklichen Opfer des Krieges im Kosovo.“

Eine Stärkung der Opposition der Balkanländer erhoffen sich die Organisatoren der „Black Box.“ Der mit Flugzeugabstürzen assoziierte Festivaltitel ließ hier nur begrenzten Optimismus vermuten: „Die heldenhafte Zeit der Opposition ist vergangen“, resümierte der serbische Schriftsteller Bora Cosic am Sonnabend. Und die Zagreber Journalistin Slavenka Drakulic legte nach: „Wir hatten keinen Walesa und keinen Havel, Opposition ist von den Nationalisten monopolisiert worden.“ Und der Nationalismus, sagte sie, „tauchte zuerst in den Medien auf“. In den serbischen Medien „während des Kosovo-Krieges, den Jugoslawien seit neun Jahren führt“, und in den westlichen Medien als Verlautbarungsmaschinerie der Nato. „Informationskultur“ ist deshalb ein zentrales Thema des Festivals, das versucht, Gegenöffentlichkeiten zu vereinen, zum Beispiel übers Internet, aber auch im Theater.

Im Experimentaltheaterstück „The giving of Fire“ der Gruppe DIS aus Banja Luka entstehen nicht nur aus einfachsten Mitteln Bilder und deren Metamorphosen. Die fünf großen Holz-Gevierte sind mal abgestecktes Terrain, mal Haus, mal Kerker, dann wieder nur „der schmale Grat“, auf dem die neun jungen Akteure balancieren. Dabei wird die Reihe der physikalischen Elemente sinnfällig erweitert: „Erde“ – „Feuer“ – „Macht“. „Auf eindeutiges politisches Theater wollen wir uns aber nicht einlassen. Wir wollen Konflikte im Individuum auflösen, möglichst bevor sie ausbrechen“, sagt Scott McElvany, der das 1993 gegründete Theaterprojekt betreut.

Doch daß selbst das Feuer den „Blinden“ nicht erhellen kann, bemerkte Bora Cosic: „Das erste Symptom dieser Blindheit ist, keine andere Nation außer der eigenen zu sehen.“ So ist die „Black Box“, trotz des Fehlens von kosovarischen Teilnehmern, zumindest eine Sehhilfe. Christoph Rasch ‚/B‘Noch bis Mittwoch; Kontakt und Info: Tel. (0 30) 44 00 44 57