Insel um halb fünf

■ Während überall das Formatradio regiert, gibt es in Bayern den „Zündfunk“, eine Sendung wie eine Hörspielkassette. Nun wird der „erfolgreiche Anachronismus“ 25 Jahre alt

Um 16.30 Uhr ist die Welt in Bayern wieder in Ordnung: Für anderthalb Stunden treten Bauernhof-Idyll und CSU-Alleinherrschaft in den Hintergrund. Um halb fünf am Nachmittag sendet der „Zündfunk“ – das Jugendprogramm im Bayerischen Rundfunk (BR).

Seit 25 Jahren beweist die 90minütige Radiosendung täglich, daß es für junge Leute in Bayern mehr zu erleben gibt als Volksmusik und Weißwürste. Jugendlichen aus Bad Kissingen oder Marktoberdorf ist der „Zündfunk“ Heimat abseits von Stammtischen und Kuhglocken, aber auch abseits von Backstreet-Boys und Bravo.

„Wir sind ein Einschaltprogramm“, meint Redakteur Alexander Schaffer über den „Zündfunk“, der im Kulturprogramm Bayern 2 Radio läuft: „Bei uns muß man zuhören können, wir machen keinen Plauderfunk.“ So ist die Sendung in ihrer Form ein Überbleibsel der seligen siebziger Jahre, als bei den öffentlich-rechtlichen Sendern sich die „Jugendfunk“-Abteilungen ihre Programminseln zu schaffen begannen: Etwa den „Club“ beim NDR oder die „Radiothek“ beim WDR, der „s-f-beat“ im SFB. Politische Inhalte, jugendliche Ansprache und Musik, wie sie im sonstigen Radio nicht zu finden sind, das war das Rezept. Inzwischen ist alles Jugendfunk, Programminseln hat das Formatradio versenkt.

In solchen Zeiten ist der „Zündfunk“ wie eine tägliche Hörspielkassette geblieben, auf der es neue, innovative Musik gibt und Wortbeiträge, die auch mal fünf Minuten lang sein können, wenn das Thema es verlangt. „Eigentlich sind wir ein richtiger Anachronismus“, gesteht Schaffer. Ein erfolgreicher Anachronismus, behauptet seine Chefin Ulrike Ebenbeck. „Immerhin senden wir täglich für ein ausverkauftes Olympiastadion“, wehrt sie sich gegen den Vorwurf, eine Minderheitensendung zu machen, und wedelt mit den vom eigenen Sender ermittelten Hörerzahlen. Und es sitzen nicht nur Bayern im Stadion. Der „Zündfunk“, in einigen nicht-bayerischen Städten auch über Kabel zu empfangen, hat Fans in der ganzen Republik.

„Wir nehmen unsere Hörer ernst“, meint Alexander Schaffer. Der „Zündfunk“ verstehe sich als Plattform für die Interessen der Jugendlichen in Bayern, wolle deren Leben spiegeln. Einmal im Monat fährt deshalb ein Ü-Wagen zu den Hörern. „Wir stellen Jugendkultur auf dem Land vor“, erklärt Schaffer. Wichtig sei dabei, immer einen neuen Blick auf die Themen zu finden. „Deshalb ist unser neues Logo ein Würfel.“ Schaffer zeigt auf das zum Geburtstag geliftete Erscheinungsbild: „Ein Würfel – so wie wir: auch mal schräg und mit Ecken und Kanten“.

Einst ließ der „Zündfunk“ Wakkersdorf-Gegner zu Wort kommen, debattierte über die Wehrpflicht und machte vor 15 Jahren gleichgeschlechtliche Liebe in Bayern zum Thema. Das war so schräg, daß sich sogar der Bayerische Landtag genötigt sah, dazu eine Aktuelle Stunde einzuberufen. Außerdem etablierte der „Zündfunk“ vor dreizehn Jahren ein Computer-Magazin – das erste innerhalb der ARD.

Die Musikexperten des „Zündfunk“ sind in der Szene bundesweit bekannt. Die Sendung ist nicht nur Sprungbrett für ihre Mitarbeiter, aber auch für Musiker aus Bayern. So war der Münchner DJ Hell zuerst im „Zündfunk“ zu hören, bevor er sich für das Szenemagazin Spex auszog; die CD der Weilheimer Band The Notwist war „Album der Woche“ und stürmte erst dann die Charts; und die Münchner Moulinettes wurden dank des „Zündfunk“-Demowettbewerbs bekannt.

Sie alle hat der „Zündfunk“ entdeckt, begleitet und gefeiert und neuerdings auf einer CD versammelt: Nun schickt der Sender die Bands auf Tour durch Bayern – als Geschenk an die Hörer und als Beleg dafür, „daß im South Park der Republik erstklassige Kräfte am Frickeln sind“, schwärmt Schaffer von der CD, die Musik für ein anderes Bayern liefert: Auf „Unter unserem Himmel“ ist also den ganzen Tag halb fünf Uhr nachmittags. Dirk von Gehlen