■ Eine bedingungslose Einstellung der Nato-Luftangriffe gegen Jugoslawien wäre ein Sieg des Rassismus über die Werte Europas
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Zwei Entwicklungen überschneiden sich in diesen Wochen: Einerseits treten die Umrisse der brutalen Vertreibungspolitik des Regimes Miloevic immer deutlicher hervor. Die „Aktion Hufeisen“, seit spätestens November 98 geplant, angelaufen während der Verhandlungen in Rambouillet, intensiviert während der Verhandlungen in Paris, wurde von den westlichen Regierungen lange als Vorbereitung auf eine Frühjahrsoffensive der jugoslawischen Armee gegen die UÇK verkannt, während sie in Wirklichkeit auf die Vertreibung der Zivilbevölkerung, des eigenen Staatsvolks albanischer Nationalität, gerichtet ist und unablässig fortgesetzt wird.

Andererseits avancierte nach „ethnischer Säuberung“ das Wort „Kollateralschäden“ zum Unwort des Jahres. Der Luftkrieg, mit dem die Nato den Vertreibungsplan unterbinden wollte, verfehlte diesen Zweck. Die Inkongruenz von politischen Zielen und den Mitteln eines auf High-Tech setzenden Militärapparats wird immer deutlicher. Die Bombardierung der Infrastruktur zerstört auch die industrielle Zivilisation – die Lebensgrundlage der Bevölkerung.

Dabei ist jeder Vergleich zwischen den Opfern der Vertreibung und den Opfern des Luftkriegs unstatthaft. Auch die Rechtfertigung, daß aufgrund der Vertreibungen im Kosovo dem Miloevic-Regime nach Jahren des Appeasements nun endlich widerstanden werden muß, beruhigt nicht die quälende Erinnerung an Bombenkrieg. Die Diskussion um einen Stopp, zumindest aber die zeitweise Aussetzung der Bombardierungen, ist in vollem Gange.

Sie kann den Blick darauf versperren, daß in diesem Krieg das Militärische nie zum Selbstzweck geworden ist, daß es begleitet wurde von der intensiven Suche nach politischen Lösungen. Der bei den Bündnisgrünen verbreitete Ruf nach einem „Zurück zur Politik“ ist seltsam ignorant gegenüber der Tatsache, daß sich gerade die deutsche Außenpolitik um Wege zurück zur Politik, zum Frieden bemüht hat. Rambouillet war der letzte Versuch, dem angedrohten Luftkrieg mit einer diplomatisch-politischen Lösung zuvorzukommen. Daß nicht bedacht wurde, daß dieses europäische Bemühen durch die kaltblütige serbische Lösung einer Vertreibungspolitik unterlaufen werden könnte, war in der Tat „Armut an Phantasie“. Deshalb die Fehlkalkulation, Miloevic werde nach wenigen Tagen Luftkriegs sein Nachgeben legitimieren können. Deshalb die Unfähigkeit, sich auf eine mittelfristige Kriegführung einzulassen, die ohne permanente Intensivierung des Luftkriegs auskäme.

An Bemühungen um politische Lösungen hat es wahrlich nicht gefehlt: So gab es die Entwicklung eines „Friedensplans“, die Suche nach Kooperation mit Rußland, nach Heilung des Bruchs mit den Grundlagen internationalen Rechts, die in der UN-Charta festgeschrieben sind. Schließlich den Erfolg, daß nicht nur EU und Nato die Grundzüge des „Friedensplans“, sondern auch Kofi Annan dessen fünf Ziele in einer Erklärung des UN-Generalsekretärs übernahmen: Stopp der Vertreibung, Abzug der militärischen und paramilitärischen Verbände, Rückkehr der Flüchtlinge in eine gesicherte Umgebung, deshalb internationale Friedenstruppe und Rückkehr der humanitären Organisationen ins Kosovo. Und das Ergebnis, daß die russischen Vermittlungsvorschläge sich diesen Prinzipien annäherten.

Bei der Petersberg-Tagung der Außenminister der G-8-Staaten am 6. Mai ist es jetzt gelungen, diese Kernforderungen als Grundlage eines gemeinsamen Vorschlags für den UN-Sicherheitsrat zu vereinbaren. Einig sind sich die Außenminister inzwischen in der Notwendigkeit einer Sicherheitspräsenz im Kosovo; die Zusammensetzung der Friedenstruppe muß noch weiter geklärt werden. Absurd ist allerdings, daß die Nato gleichzeitig zu diesen Vorbereitungen einer Sicherheitsrats-Resolution eine weitere Eskalation der Bombardierungen vorbereitet.

Das alles bedeutet noch nicht, daß – trotz allen Drucks, den gerade der Chef von Gazprom ausüben kann – Miloevic sich auf eine von solchen Prinzipien ausgehende russische Vermittlung einläßt. Zwar mag es der Belgader Nachrichtenpolitik gelungen sein, die vom jugoslawischen Präsidenten zu verantwortenden Untaten im Kosovo vor seinem eigenen Volk zu verbergen; genau deshalb aber soll internationalen Organisationen der Einblick in die Vorgänge im Kosovo verwehrt bleiben.

Deshalb taugen Vorschläge wie der eines einseitigen Stopps der Bombardierungen nicht. Dies bedeutete den Sieg der rassistischen Prinzipien Miloevics über die Werte, auf denen europäische Kooperation beruht. Parallel zu allen Friedensbemühungen muß deshalb über die Frage nachgedacht werden, wie Demokratien eine angemessene Form finden können, in der sie einem Regime, das Krieg gegen das eigene Volk führt, militärisch widerstehen können. Dafür bedarf es fester Prinzipien. Diese wären erreicht, wenn der UN-Sicherheitsrat die zentralen Grundsätze der G-8-Außenminister übernimmt. Damit ist Deeskalation notwendig. Denn nur so kann die Kluft zwischen dem Regime und dem serbischen Volk, die die Bombardierungen zugeschüttet haben, wieder aufgerissen werden. Der Abfall Vuk Drakovic' und seine klaren Worte über die Propagandalügen des Regimes, der Brief von 27 Belgrader Intellektuellen, die die Vertreibungspolitik im Kosovo ebenso mißbilligen wie den Bombenkrieg, sind wichtige Signale.

Vergessen werden darf aber nicht, daß etwa 300.000 bis 600.000 Flüchtlinge noch im Kosovo hin und her getrieben werden. Deshalb muß ab sofort auch das Ziel eines für mehrere Tage zu vereinbarenden humanitären Waffenstillstands verfolgt werden, der es ermöglicht, diese Vertriebenen durch humanitäre Organisationen vor dem Verhungern zu bewahren. Solche Tage können genutzt werden, um die Vermittlungsbemühungen zur Umsetzung der Grundsätze der G 8 zu intensivieren.

Die Nato könnte diese Zeit für eine gründliche Überprüfung des Luftkriegs nutzen. Denn wenn dieser noch fortgesetzt werden muß, um den Druck auf ein verbrecherisches Regime aufrechtzuerhalten, so bedarf jedes angegriffene Ziel der nachträglichen Rechtfertigung. Luftkrieg darf keine willkürliche Kriegshandlung sein, sondern in Demokratien bedarf jedes Ziel der öffentlichen Erklärung.

Von der Fixierung auf Miloevic wird man sich lösen müssen. Die öffentlichen Appelle und die Friedenspolitik müssen sich an Repräsentanten des serbischen Volkes richten. Nur so können neben den in vielfachen Nationalismus, Chauvinismus und Opportunismus verstrickten Politikern der Übergangsphase wie Djindjic und Drakovic auch Politiker eines zukünftigen demokratischen Serbien hervortreten. Helmut Lippelt

An Bemühungen um politische Lösungen hat es wahrlich nicht gefehltDemokratien müssen Regimen, die ihr Volk bekriegen, militärisch widerstehen können