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Dinge, die es gar nicht gibt

■ „Fisch um Fisch“: Roland Schimmelpfennigs neues Stück ist eine Elegie auf die Abwesenheit. Die Uraufführung in Mainz inszenierte er selbst – als großen Stillstand

Er schreibt Stück um Stück und jedes anders als die anderen. Roland Schimmelpfennig, der ab nächstem Jahr als Dramaturg an Thomas Ostermeiers neuer Berliner Schaubühne arbeiten wird, hat sich am Mainzer Schauspiel inzwischen fast zum Hausautor gemausert. Vor einem Jahr legte er mit „Aus den Städten in die Wälder, aus den Wäldern in die Städte“ eine bemüht poetelnde Auftragsarbeit zur Eröffnung des neuen Kleinen Hauses vor, mit der er verloren in den Fußstapfen von Shakespeares „Sommernachtstraum“ wandelte. Jetzt hat er die Uraufführung seines neuesten Stückes gleich selbst inszeniert und überrascht die Mainzer mit einer Küstenelegie, die er wiederum in Nachfolge zeitgenössischer britischer Dramatiker geschrieben haben könnte. Martin McDonaghs irische Küstentrilogien und David Harrowers „Messer in Hennen“ lassen grüßen. Schimmelpfennigs vier Protagonisten in „Fisch um Fisch“ könnten aber auch in einem nordfriesischen Häuschen oder in der Uckermark sitzen und von einem Gewässer träumen, das direkt vor dem Haus liegt und immer mal wieder zufriert.

Das sagt zumindest der „Junge Mann“, der sich mit dem „Alten Mann“ Wortduelle um eine Mütze und ein Paar Schuhe liefert und mit dem Schimmelpfennig den klassischen Vater-Sohn-Konflikt reanimiert. Hinzu kommt noch die Tochter als „Die junge Frau“, der Krieg der drei taugt aber nicht einmal mehr zum Scharmützel. Stattdessen üben sie sich als Rangiermeister eines Verladebahnhofes von Gegenständen. Die Tochter etwa findet immer mal wieder Dinge, wie einen Löffel oder eine Sicherheitsnadel, die dann so lange im imaginären Bühnenraum wandern, bis klar wird: Eigentlich geht es hier gar nicht um Konfliktpotentiale zwischen Bühnenfiguren. Schimmelpfennig hat vielmehr eine Elegie über die Abwesenheit von Dingen geschrieben, die dem Bühnengeschehen Leben einhauchen könnten, wären sie nur verfügbar.

An Fischen sollte hier kein Mangel sein

Fische etwa soll es draußen im Gewässer genug geben. Der Junge Mann allerdings spricht immer nur davon, wie er sie fangen könnte, und wird nie mit stolzgeschwellter Brust Beute vorweisen können. Und die Junge Frau würde gerne tanzen, bekommt aber weder vom Vater noch vom Bruder gezeigt, wie das geht. Bleibt ihr also nur, sehnsüchtig zu einem Vierten zu sehen, der als „Der Mann draußen“ verloren auf einer Bühne steht, die Sascha Groß als Meer aus zerschlagenem Porzellan gestaltet hat.

Auf dem Trümmerfeld braucht es nur noch den Tisch für den grollenden Vater sowie einen leeren Kühlschrank als Haltepunkt für den Sohn, und schon wandelt Schimmelpfennigs Trio wie eine Fakirfamilie im Raum, während Bernd Braun die einstündige Inszenierung zumeist auf einem Fleck und mit verzogenem Gesicht durchsteht.

Er ist „Der Mann draußen“, der etwas von Paris erzählt und einen Tuchhändler sucht, den es in dieser Gegend natürlich genausowenig gibt wie das richtige Gerät für den Fischfang.

Braun sieht die meiste Zeit dezent entgeistert vor sich hin, mustert immer wieder eine Meßlatte (über der Bühne schwebend) und Dias (in einem Projektor harrend), während sich allmählich der Verdacht verdichtet, am Ende könnte es sich beim Geschehen auf der Bühne doch eher um eine Performance zur Erkundung des Stillstands handeln.

Was man Schimmelpfennig bei alldem zugute halten kann, ist, daß er sich entschieden von jeglichen Aufgeregtheiten des Bühnengewerbes absetzt. Wie ein Exerzitium schwimmt „Fisch um Fisch“ im Meer zeitgenössischer Stücke. Als Regisseur ist Schimmelpfennig seiner Ursprungserkundung auch nicht in die Quere gekommen, sondern führt das Ensemble hin zum Ersterben jeglicher Theatralität, auf daß kleinste emotionale Spitzen wie Bühnenerschütterungen wirken.

Spielt Regine Schroeder Anflüge einer trotzigen Verzweiflung des Mädchen, wirkt schon das wie ein mittleres Erdbeben. Und schmettert Clemens Kuntzsch mit Grollstimme das Drängen des Sohnes ab, hat man in einem Reduktionsstück wie diesem den Eindruck, Gottvater höchstselbst sei auf die Bühne niedergestiegen. Irgendwann stehen „Die Junge Frau“ und „Der Mann draußen“ dann auch tatsächlich einmal nebeneinander im Licht des Diaprojektors und warten darauf, daß in der bildlosen Projektion etwas aus ihnen werde, während „Fisch um Fisch“ in Mainz in einer Reihe mit Enda Walshs „Disco Pigs“ und Falk Richters „Gott ist ein DJ“ steht, mit denen das Staatstheater aus seiner Experimentierbühne TIC ein Forum für zeitgenössische Stücke gemacht hat. Jürgen Berger

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