„Amerikaner können sich nicht alles erlauben“

■ Der frühere chinesische Botschafter in Bonn, Mei Zhaorong, sieht nach dem Bombenangriff auf die Belgrader Botschaft eine „eklatante Entblößung des westlichen Menschenrechtsdiskurses“

Mei Zhaorong studierte während der fünfziger Jahre in der DDR, war Übersetzer für Mao Tse-tung und später Botschafter der Volksrepublik in Deutschland. Heute leitet er das Institut für Auswärtige Angelegenheiten in Peking und gilt nach Auffassung deutscher Diplomaten in Peking als einflußreichster Deutschland-Politiker Chinas.

taz: Was würden Sie dem Bundeskanzler Gerhard Schröder empfehlen, wenn er heute nach China reist?

Mei Zhaorong: Ich kann ihm nur schwer helfen. Schreckliche Dinge sind am Wochenende geschehen. Die Nato mit den USA an der Spitze hat unsere Botschaft in Belgrad bombardiert. Das ist eine eklatante Verletzung der Souveränität Chinas, eine Aggression, die jegliches Völkerrecht verletzt. So etwas ist in der Geschichte selten passiert. Mir kommt es so vor, als seien die Amerikaner und die Nato-Politiker irgendwie verrückt geworden. Wie können sie so etwas machen? Und was wollen sie damit erreichen? Die Empörung des chinesischen Volkes ist jetzt vollkommen berechtigt.

Kann dem der Kanzler in China mit einer Entschuldigung begegnen, oder muß man den Ärger erst abklingen lassen, bevor man wieder miteinander redet?

Das hängt vom Bundeskanzler ab. Er sollte das entscheiden. Jedenfalls sind die Ereignisse nicht förderlich für die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern, weil Deutschland ein aktives Mitglied der Nato und mitverantwortlich für die Dinge ist, die in Belgrad geschehen sind.

Welche Art von Entschuldigung wäre Ihrer Meinung nach angebracht?

Der Bundeskanzler müßte das chinesische Empfinden genau verstehen. Was würde er tun, wenn eine deutsche Botschaft von irgendeiner Organisation bombardiert und dabei Diplomaten und Journalisten verletzt und getötet würden? Sie können es so verstehen: Wenn ich Ihnen auf den Kopf haue und sage, entschuldige, das war nur ein Versehen, sind Sie damit zufrieden?

Kann der Entschuldigungsbrief von Bill Clinton an Jiang Zemin helfen, die Lage zu entspannen?

Ich habe den Brief noch nicht gelesen und kann nicht beurteilen, wie die chinesische Führung auf ihn reagiert. Aber eine Entschuldigung allein reicht nicht aus. Der chinesische Außenminister hat heute in einer Protestnote an den amerikanischen Botschafter schon konkrete Forderungen gestellt. Die Führung muß auch die Empörung der Volksmassen berücksichtigen. Die Amerikaner sollen nicht glauben, daß sie sich aufgrund ihre militärischen Stärke alles erlauben können. Wenn man eine solche Machtpolitik zuläßt, gebe es bald keine Völkerrechtsnormen mehr. Was für eine Weltordnung käme dann auf uns zu!

Die Studenten, die jetzt in China demonstrieren, hatten gestern oder vorgestern noch keine antiwestliche Haltung. Treibt sie eher Enttäuschung als Haß auf die Straße?

Natürlich. Wir sind ein friedliches Volk. China ist wirklich sehr bestrebt, mit westlichen Ländern gute und kooperative Beziehungen zu entwickeln. Das war immer unsere gute Absicht. Daß der Westen ohne jeglichen Grund die diplomatische Vertretung Chinas in einem dritten Land bombardiert, und zwar gezielt, ist unfaßbar. Das kann zu keinem anderen Ergebnis führen, als die Empörung des gesamten chinesischen Volkes zu wecken. China ist nicht mehr ein Land, das wie früher von ausländischen Mächten x-beliebig ignoriert oder geschulmeistert werden kann. China ist aufgestanden. Wir sind ein souveränes Volk und wollen Frieden, aber wir lassen uns nicht beliebig unter Druck setzen.

Was lernt China in dieser Stunde vom Westen?

Auf alle Fälle hat sich das chinesische Volk klar vor Augen geführt, wieviel Wert es hat, wenn die westlichen Politiker immer wieder von sogenannten Menschenrechtsverletzungen und humanitären Katastrophen reden. Das sind Seifenblasen, die im selbstentfachten Krieg des Westens zerplatzen. Wir erleben eine eklatante Entblößung des westlichen Menschenrechtsdiskurses.

Auf westliche Botschaften in Peking gingen Steinhagel nieder, in Guangzhou wurde das deutsche Generalkonsulat gestürmt. Warum unternahm die Polizei nichts dagegen?

Vizepräsident Hu Jingtao hat am Sonntag erklärt, daß die chinesische Regierung alle Proteste im Rahmen der Gesetze unterstützt. Auf der anderen Seite sollen Ausschreitungen verhindert werden. Wir schützen alle ausländischen Bürger, die hier in China arbeiten. Das ist ein Beispiel und ein Auszug der chinesischen Zivilisation.

Amerikaner und Briten raten ihren Bürgern, nicht mehr nach China zu fahren. Besteht auch für Deutsche Gefahr?

Ich kann nicht jedermann Sicherheit garantieren. Über die einzelnen Bürger hat niemand Gewalt. Aber die Regierung will jede Art von Belästigung verhindern.

Vermuten Sie hinter der Botschaftsbombardierung politische Motive, die auf die Verhinderung eines Kompromisses im Weltsischerheitsrat zielten?

Es ist doch klar, wer hier die Entscheidungen trifft. Das ist die amerikanische Regierung, der amerikanische Präsident und die Nato-Führung. Aber ich kann nicht sagen, ob es innerhalb der Nato eine radikale oder friedliche Gruppe gibt, die sich miteinander streiten.

Wird das Ereignis eine Einigung im Weltsicherheitsrat unmöglich machen?

Sicher wird es sie nicht erleichtern. Alles ist jetzt komplizierter.

Was könnte China daran hindern, einem gemeinsamen Friedensplan der G-8-Gruppe unter Einbeziehung Rußlands zuzustimmen?

Wir sind immer dafür eingetreten, daß die Probleme durch friedliche politische Verhandlungen gelöst werden sollten. Unter den Bombardements der Nato ist das nicht möglich. Eine politische Lösung bedeutet, daß die Bombardements gestoppt werden und jede Lösung auch von Jugoslawien akzeptiert werden muß. Jugoslawien ist ein souveränes Land, dem man nicht alles aufzwingen kann.

Wird der Frieden kommen?

Das hängt von der Nato ab. Der Westen muß ein politisches Signal senden.

Interview: Georg Blume, Peking