Tschernobyl-Kran strahlt in Spanien

■ Verleihfirma setzt vermutlich radioaktiv verseuchten Kran europaweit ein. Hersteller: Dekontaminierung wäre nicht rentabel

Madrid (taz) – Sind es 1.045 Tonnen hochverstrahlter Sondermüll, oder ist es nur ein ganz normaler Industriekran? Um diese Frage streiten sich seit Beginn dieses Monats die spanische Ökobewegung und der staatliche Nukleare Sicherheitsrat (CNS). Stein des Anstoßes ist ein Kran, den der USamerikanische Chemiekonzern Du Pont in seinem Werk im nordspanischen Asturien aufstellen will, um eine neue Fabrikhalle zu bauen. Der über 50 Meter hohe stählerne Gigant kommt aus Tschernobyl.

Dort diente er bis vor drei Jahren direkt neben dem Katastrophenreaktor von 1986. In der Zeit nach dem Unglück wurde der Kran teilweise direkt über dem offenen Reaktor zur Betonförderung eingesetzt. Dann kaufte die englischen Verleihfirma Baldwins die Maschine. Der Kran trat die Reise an. Erst kam er in Großbritannien zum Einsatz. Vor einem Jahr sollte er in Deutschland angeliefert werden. Als Greenpeace durch einen anonymen Brief über die mögliche Verseuchung der Maschine informiert wurde, zog Baldwins zurück. Jetzt ging der Stahlkoloß im Hafen von Aviles in Asturien von Bord.

Die spanische Nuklearbehörde CNS kennt keine Bedenken. „Wir können 100prozentig versichern, daß der Kran frei von jeder Radioaktivität ist“, heißt es in einer Mitteilung der CNS. Die Ökobewegung und die Vereinigten Linken, die vergebens versuchten, die Entladung zu blockieren, bezweifeln das. „Die Entseuchung eines solchen Krans ist nicht möglich“, sagt Carlos Bravo, der bei Greenpeace Spanien für atomare Angelegenheiten zuständig ist.

Die Reaktionen auf Anfragen bei großen Kranherstellern bestätigen seine Befürchtungen. So schreibt die spanische Zweigstelle der deutschen Liebherr AG: „Es ist absolut unmöglich, eine Maschine, die in Tschernobyl zum Einsatz gekommen ist, zu dekontaminieren.“ Der verseuchte, hochaktive Staub habe sich nicht nur an der Oberfläche festgesetzt, sondern sei in das gesamte Hydraulik- und Pneumatiksystem eingedrungen. „Die Strahlenbelastung durch diesen Staub kann bis zu 1.000 Jahre dauern.“ Mannesmann Dematic geht davon aus, „daß eine Dekontaminierung die vollständige Demontage, das Abbeizen der Farbe und der Austausch wichtiger Bauteile nötig machen würde. Diese Prozedur ist nicht rentabel.“

Greenpeace verlangt von der spanischen Regierung, daß die Untersuchungsberichte des CNS öffentlich gemacht werden. „Nur so ist eine Überprüfung durch neutrale Wissenschaftler möglich“, mahnt Carlos Bravo an. Vergebens. Die CNS stellt sich taub. Und das, obwohl sie eine Aufbesserung ihres Rufes dringend nötig hätte. Erst vergangenes Jahr geriet die Nuklearbehörde in Mißkredit, nachdem sie eine radioaktive Wolke aus einem südspanischen Stahlwerk verschwiegen hatte. Erst als die Behörden in der Schweiz und Frankreich wegen erhöhter Strahlenbelastung der Luft Alarm schlugen, gestand die CNS ein, daß in einem der Hochöfen versehentlich Cäsiumkapseln eingeschmolzen worden waren. Jetzt versucht die CNS, die Asche loszuwerden, in dem sie sie mit Schlacke versetzten läßt. Auf diese Weise soll sie dann als schwachradioaktiver Sondermüll gelagert werden können. Reiner Wandler