Politik oder Moral

■ Der Nato-Krieg hat falsch begonnen. Doch ihn jetzt bedingungslos zu beenden, wäre ebenso falsch. Deshalb ist Fischers Politik richtig

Die Nato-Politik scheint in einer Sackgasse gelandet zu sein. Kein Wunder, daß der Ruf ertönt, den Krieg bedingungslos zu beenden bzw. (was dem gleichkäme) ihn zu unterbrechen. Er erschallt sehr viel lauter, als in den vorangegangenen Monaten der immer stärkeren Kriegsandrohungen der Nato der Ruf zu hören war, keinen Krieg zu beginnen. Nicht nur der Sieg, auch der Irrtum hat manchmal viele Väter.

Der jetzige Ruf nach Kriegsende oder Feuerpause läßt die Einzelheiten offen, mit wem über was in welchem Rahmen auf welcher Grundlage mit welchem Ziel und mit welcher Aussicht auf Erfolg, also der Sache und dem Frieden dienend, verhandelt werden soll. Ohne dies aber würde dieser Weg in eine Katastrophe führen. Es kann jetzt keinen kurzen Weg zu einem tragfähigen Ergebnis geben, allenfalls kurze Illusionen.

Die Nato-Politik hat rechtlich, politisch und militärisch falsch begonnen und bleibt damit falsch. Aber sie ist da und kann nicht beseitigt, sondern nur verändert werden. Eine Forderung der Bundesregierung nach sofortiger und bedingungsloser Beendigung der Bombardierungen hätte nur eine sichere Wirkung gehabt: das Ende der deutschen Mitwirkung im Krisenmanagement und eine Isolierung Deutschlands in der künftigen europäischen Sicherheitspolitik. Eine solche Forderung wäre eine Flucht aus der politischen Ungewißheit in eine moralische Gewißheit, hätte aber kaum noch etwas mit Politik zu tun.

Ein Blick zurück: 1968 nahm die Bundesregierung auf Initiative von Außenminister Willy Brandt diplomatische Beziehungen zu Jugoslawien auf. Dies stand im Gegensatz zu ihrer Doktrin, mit keinem Staat Beziehungen zu haben, der (wie Jugoslawien) auch diplomatische Beziehungen zur DDR unterhielt. Die Bundesregierung lockerte mit ihrem Schritt die Festungslogik der deutschen Außenpolitik und öffnete den Weg für die Entspannungspolitik.

Im Kosovo-Krieg entwickelte die Bundesregierung auf Fischers Initiative den Friedensplan, der dann zur Grundlage für den Beschluß der G 8 gemacht werden konnte, der eine verhandelte Konfliktlösung im Rahmen der UNO vorsieht. Dies steht im Gegensatz zu der von der Bundesregierung mitgetragenen Politik der Nato, Miloevic ohne UNO eine Konfliktlösung mit Waffengewalt aufzuzwingen. Die Bundesregierung lockert mit diesem Schritt die Logik des Krieges auf und öffnet den Weg für eine politische Lösung des Kosovo-Konflikts und für eine folgende Verbesserung der kollektiven Sicherheit in Europa.

Heute wie damals geht es um die Suche nach einem gangbaren Weg aus dem Konflikt. Dabei ist die Bundesregierung auch heute in europäischen und transatlantischen Loyalitäten eingebunden. Heute wie damals hatte der Außenminister Mühe, seine Politik für Skeptiker akzeptabel zu machen und gegenüber dem Koalitionspartner und den Alliierten durchzusetzen. Fischer hat in diesem vorgegebenen, teils hinderlichen Rahmen erreicht, was optimal erreichbar war. Brandt hätte wie Fischer gehandelt.

Fast auf den Tag genau vor hundert Jahren, am 18. Mai 1899, begann in Den Haag die Friedenskonferenz, mit der erstmalig der Versuch unternommen wurde, Konflikte nicht militärisch, sondern friedlich zu lösen. Sie scheiterte an der Sucht des deutschen Kaiserreichs nach militärischer Macht. Es wäre mehr als nur bittere Ironie, wenn heute eine Lösung des Kosovo-Konflikts an einer akuten Sucht eines wichtigen Teils der politischen Kräfte in Deutschland nach militärischer Ohnmacht scheitern sollte. Hans Arnold