Emotionen schwenken

■  Warum kein Sport im Fernsehen so funktioniert wie Fußball: Weil sich jedes Spiel erzählen läßt wie die Episode einer Familienserie

In Italien ist der Ball, um den sich alles dreht, längst nicht mehr für alle zu sehen. Wichtige Fußballspiele werden im sogenannten Pay-per-View für gute 30 Mark angeboten. Kostenlos empfangbare Sender dürfen den Spielball nicht zeigen, sie müssen sehen, wo sie bleiben. Zum Beispiel am Spielfeldrand. Eine pfiffige Sendung des Staatssenders RAI hat mittlerweile Kultstatus: „Quelli che il calcio“ (Die vom Fußball) überträgt während der Ligaspiele aus dem Stadion, aber nicht vom Spiel. Die Kamera hält auf Spielerfrauen oder Filmstars im Publikum, auch eine leibhaftige Nonne soll schon mit von der Partie gewesen sein. Fünf Millionen schauen allsonntäglich dieser Show zu, deren Höhepunkt darin besteht, gelegentlich den Spielstand einzublenden.

Wer nicht zahlen kann, steht allenfalls am Rand, das gilt in Deutschland zwar noch nicht für die Zuschauer, wohl aber für die Sender. Nachdem Rupert Murdoch mit seinem Minikanal TM 3 unerwartet dem Marktführer RTL die deutschen Champions-League-Rechte vor der Nase weggekauft hatte, war die lang geplante ZDF-Tagung zum Thema „Sport im Fernsehen“ unerwartet aktuell geworden. Doch im ZDF-Hauptquartier war der neue Spieler Anfang der Woche noch nicht anwesend. Auf sich gestellt, blieb den Verlierern nur, bereits Bekanntes noch einmal zu analysierten: Warum die Champions League nun nicht an RTL geht (weil einer mehr geboten hat), wie lange der Markt solche astronomischen Summen produziert (bis kein Busineßplan das mehr hergibt) und wieso alle bei „Sport“ immer nur „Fußball“ meinen.

Zeige Fußball, und deutsche Männer lieben dich

Die Antwort auf die letzte Frage ist schlicht: Weil sich die „Höchstkostenware“ Fußball im Deutschen Fernsehen immer noch lohnt. ARD-Programmdirektor Günter Struve, im Besitz der derzeit mäßig unterhaltsamen Länderspielrechte der Nationalmannschaft, rechnete kühl vor: Seine Anstalt habe 1998 zehn Prozent des Gesamtetats für Fußball ausgegeben und damit 19 Prozent des Erfolges erzielt. Erfolg heißt in diesem Geschäft stets zweierlei: die direkte Refinanzierung durch Werbeeinnahmen (die der ARD verschlossen bleibt) und der langfristige Gewinn durch Spitzen-Einschaltquoten.

Dabei ist längst klar, daß man eigentlich nur im Pay-TV das Geld wieder hereinholen kann, das die Ausstrahlungsrechte verschlingen. Andererseits hat RTL seinerzeit vorgemacht, wie man aus einem noch wenig bedeutenden Sender innerhalb kurzer Zeit einen wichtigen Mitspieler macht: Zeige Fußball, und alle deutschen Männer werden deinen Sender auf der Fernbedienung ganz oben programmieren. Das wird auch für den „Frauensender“ TM 3 gelten.

Doch egal wo (und für wieviel Geld) das Spiel gezeigt wird, die Inszenierung ist längst überall die gleiche. Hier zeigen sich die Folgen der big deals: Angesichts der hohen Einstandssummen muß der exklusiv präsentierte Sport zum „Spitzensport“ stilisiert werden. „Soll Sat.1 eine langweilige Bundesligasaison langweilig nennen?“ fragte der Sportjournalist Christoph Biermann in seinem Vortrag über „journalistische Distanz in der Sportberichterstattung“. Oder: Soll man erwarten, daß die ARD im Dopingskandal bei der Tour de France investigativ tätig wird? Oder wird DSF je zugeben, daß das Gekicke in der 2. Bundesliga kaum für eine abendfüllende Berichterstattung taugt?

Während die „Mainzer Tage der Fernsehkritik“ so vor sich hin diskutierten,wurde bei Sothebys ein Gemälde von Paul Cezanne für 110 Millionen Mark verkauft – ein Verdoppelung gegenüber dem Einstandspreis. Ähnlich spekulativ bewegen sich die Sportrechtepreise. „Tennis ist nichts mehr wert“, stöhnte ARD-Mann Struve, denn die Heroen Becker und Graf sind praktisch abgetreten.

Ein Sport, der Einzelhelden braucht, ist unkalkulierbar

Trotzdem muß die ARD alle Spiele weiter in epischer Breite ausstrahlen – der Rechtevertrag verpflichtet sie dazu. Auch der von RTL angefachte Box-Boom ist vorüber, seit Henry Maske auf Rente gegangen ist. Es gibt halt keine Garantie auf Erfolg, außer man macht ihn abseits der unkalkulierbaren Heldenerwartungen.

„Mannschaftssport“ heißt das Zauberwort. Und Fußball ist die Mannschaftssportart. Anschaulich verglich Roland Zorn, Sportexperte der FAZ, die Inzenierung „Fußball“ mit einer Endlosfamilienserie. Unabhängig vom tatsächlichen Ausgang eines Spiels, von der Leistung der Bundesligaprofis auf dem Platz, lassen sich Geschichten über die Marotten der Hauptdarsteller erzählen, über den Knatsch hinter den Kulissen, die Sorgen und Nöte der Trainer. „Im Gedächtnis bleiben doch die Gefühle“, erklärte der freie Sportregisseur Volker Weicker schließlich. Weicker, der im letzten Jahr mit Marcel Reif und Günter Jauch eine Stunde lang aus Madrid eine tolldreiste Geschichte über ein umgefallenes Tor erzählte, arbeitet konsequent die narrative Struktur eines Spiels heraus – jedes Match kann als Drama inszeniert werden. Dazu gehören die verzweifelten Bilder von der Trainerbank genauso, wie die gespannten Gesichter der Ersatzspieler oder die euphorischen Gesänge in der Südkurve.

Der Rhythmus zählt. „Ich schneide so, wie ich das Spiel empfinde“, erklärte Weicker und wies darauf hin, daß sich die Fernsehsender bei ihrer Fußballinszenierung inzwischen alle der gleichen 30 – 40 freien Kameraprofis bedienen, die nichts anderes tun, als „Spiele zu schwenken“. Auch TM 3 wird binnen kurzem die nötigen Sachverständigen zusammengecastet haben. Und damit ist der „Kampf um die Spiele“ gelaufen: wir werden vielleicht kaum mehr merken, daß wir nicht mehr RTL gucken. Klaudia Brunst